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FDP-Gesundheitsexperte Lars Lindemann

© Bundestag

Tagesspiegel-Interview: FDP-Gesundheitsexperte Lars Lindemann: Ein Gefühl von Ungerechtigkeit

Der FDP-Gesundheitsexperte Lars Lindemann regt an, Krankenkassenbeiträge künftig nach dem Gesamteinkommen zu bemessen.

Die Kassenbeiträge orientieren sich allein am Lohneinkommen. Wie gerecht ist das noch in Zeiten, wo das Geld immer stärker auf andere Weise verdient wird – durch Kapitalanlagen, Zinsen, Mieteinnahmen?

Wir wünschen uns als Liberale eine einkommensunabhängige Gesundheitsprämie, die sozial ausgeglichen wird. Und zwar für jeden. Wenn man für dieses Ziel im Moment aber keine Mehrheit bekommt, darf man sich nicht in den Schmollwinkel setzen und auch jeden anderen Gedanken, der auf Verbesserung des Istzustandes gerichtet ist, ablehnen. Nach meinem Dafürhalten ist die derzeitige Beitragsbemessung nicht richtig. Sie entspricht nicht mehr der Lebensrealität. Wenn der Hausmeister, der 1700 Euro brutto verdient und nebenbei zwei Mietshäuser besitzt, geringere Beiträge zu zahlen hat als eine Angestellte mit 2500 Euro brutto, ist das nicht in Ordnung.

Sie fordern Beiträge aufs Gesamteinkommen der Versicherten?

Wir müssen prüfen, wie man diesen Lebensrealitäten gerecht werden kann und ob solche Vorstellungen einen Beitrag zu einer gerechteren Finanzierung des Systems darstellen. Beiträge auf alle Einkommensarten zu erheben, ist zudem auch mit Schwierigkeiten verbunden, die einer sachgerechten Lösung bedürften. Wenn es möglich bleiben soll – was nur vernünftig wäre – Zinslasten und Abschreibungen als Aufwendungen den Einkünften aus Immobilieneigentum gegenzurechnen, liefe der Vorschlag insoweit ins Leere.

Ist das jetzige Beitragsbemessungssystem ungerecht?

Es ist unzureichend. Und, ganz klar, es führt bei denen, die mehr bezahlen müssen, obwohl sie weniger verdienen, auch zu einem Gefühl von Ungerechtigkeit.

Wie zeitgemäß ist denn noch das Nebeneinander aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung?

Die Zweigleisigkeit ist historisch bedingt. Ich gehe aber davon aus, dass sich die Systeme in nächster Zeit sehr stark aufeinanderzubewegen werden. In beiden besteht erheblicher Reformbedarf.

Wegen Rücklagen und Risikozuschlägen können Privatversicherte im Alter kaum noch wechseln. Ist das in Ordnung?

Das ist nicht in Ordnung. Die Versicherten haben so keine Möglichkeit, vom Wettbewerb zwischen den Kassen zu profitieren. Das kann nicht richtig sein.

Auch zwischen den Systemen fehlt es ganz offensichtlich an Wettbewerb. Beamte müssen zu den Privaten, Geringverdiener dürfen nicht hinein – und wer mal drin ist, kommt nicht wieder heraus.

Die Pflichtversicherungsgrenze, mit der Versicherte im gesetzlichen System gehalten werden, ist absolut willkürlich. Und das Problem, dass junge Gutverdiener ins private System wollen und die Älteren und Kranken wieder zurück ins gesetzliche, zeigt zumindest, dass etwas an dem Nebeneinander nicht richtig funktioniert.

Wehrt sich die Politik deshalb so gegen eine Einheitsversicherung, weil sie den Ärzten die Zusatzeinnahmen durch Privatversicherte nicht nehmen will?

Das Bestreben aller Beteiligten im Gesundheitssystem, mit ihren Leistungen Geld verdienen zu wollen, ist richtig, und ich als Liberaler werde das nicht in Misskredit bringen und stehe dazu. Aber auch ein einheitliches System für alle, so wie es die SPD und die Grünen fordern, kann nur eine Grundsicherung darstellen. Die Freiheit, sich zusätzlich privat abzusichern, wird es immer geben, ich sage: geben müssen. Und das drückt sich dann auch im Versorgungssystem aus. Wer Zusatzpolicen hat, ist für die Leistungserbringer dann selbstverständlich auch attraktiver als derjenige, der keine hat. Ein Einheitssystem so verstanden ändert dann also auch nichts daran, dass es eine Zwei-Klassen-Medizin gibt. Dazu muss man dann auch stehen.

Wird es die private Krankenvollversicherung in zehn Jahren noch geben?

Ich glaube nicht, dass unser zweigleisiges System dann noch so wie heute bestehen wird.

Experten geben den Privaten die schlechtere Zukunftsprognose.

Mich hat sehr irritiert, dass die privaten Krankenversicherer wegen ihrer hohen Arzneiausgaben nach dem Gesetzgeber gerufen haben. Auch dass sie es nicht einmal geschafft haben, die Provisionen ihrer Makler selbst zu begrenzen, zeigt, dass sich dieses System mit den Herausforderungen der Zukunft sehr schwertut. Vor diesem Hintergrund dürfen sich die Privatversicherer nicht wundern, wenn der Gesetzgeber anfängt, sich darüber seine eigenen Gedanken zu machen.

Lars Lindemann (40) ist Jurist, Schatzmeister der Berliner FDP und Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestags.

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