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Politik: Ein Guthaben für Lebensmittel

Das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen setzt auf E-Cards, um 850 000 syrische Flüchtlinge im Libanon zu versorgen.

Beirut - Es mangelt einfach an allem: Lebensmittel, Kleidung, Decken, Medikamente. Und das im schneekalten Winter. Doch für die Hilfsorganisationen ist es extrem schwierig, die syrischen Flüchtlinge im Libanon wenigstens mit dem Allernotwendigsten zu versorgen. Oft dauert es Tage, bis die Transporte ihr Ziel erreichen. Denn der Libanon ist ein unwegsames Land. Im Westen verläuft ein hoher Gebirgszug parallel zur Mittelmeerküste. Im Osten, an der Grenze zu Syrien, prägt der Antilibanon die Region. Bergauf, bergab über Serpentinen, das kostet viel Zeit. Zumal das Straßennetz nur unzureichend ausgebaut ist.

Aber die Syrer, die in der Regel alles im jetzt schon fast drei Jahre dauernden Bürgerkrieg verloren haben, können kaum tagelang auf Nahrung warten. Nicht zuletzt deshalb setzen die Vereinten Nationen auf ein neues System, das gleichermaßen die Versorgung vor Ort sichern und den Menschen mehr Selbstständigkeit ermöglichen soll. Es basiert auf Gutscheinen, die an Bedürftige ausgegeben werden. Dabei setzt das Welternährungsprogramm der UN in Kooperation mit der Firma Mastercard jedoch nicht wie bisher auf bedrucktes Papier, sondern auf moderne Technik. „E-Card“ lautet das Zauberwort.

Dahinter verbirgt sich bargeldloses Einkaufen per Guthaben: Von den UN registrierte Flüchtlinge bekommen eine auf ihren Namen ausgestellte, einige Zentimeter große Plastikkarte ausgehändigt, die in der Regel zwei Mal im Monat mit einer bestimmten Geldsumme automatisch aufgeladen wird. Derzeit sind es umgerechnet etwa 20 Euro pro Person. Einer fünfköpfigen Familie stehen über einen Zeitraum von vier Wochen also 100 Euro zur Verfügung. Das reicht nach Berechnungen der UN aus, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Mithilfe der Voucher können die Menschen in ausgewählten und kontrollierten Partnershops ihren individuellen Nahrungsmittelbedarf decken. Bis Ende des Jahres sollen alle 850 000 syrischen Flüchtlinge im Libanon über elektronische Gutscheine verfügen.

Das neue Programm hat aus Sicht der UN und privater Hilfsorganisationen wie World Vision große Vorteile gegenüber der traditionellen Verteilung von Lebensmitteln. „Dieses System versetzt die Menschen in die Lage, eigenständig über ihren Einkauf zu entscheiden“, sagt Lynne Miller, die für das Welternährungsprogramm die Nothilfe im Libanon koordiniert. „Das stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein der Flüchtlinge, sondern entlastet auch uns.“ Denn die Menschen werden im Idealfall im Laufe der Zeit auf die Zuteilung von Essensrationen durch die UN weitgehend verzichten können. Für das Welternährungsprogramm hätte das einen großen Vorteil: Aufwand und Kosten (verursacht vor allem durch Lagerung und Transport tausender Tonnen Lebensmittel) würden sich deutlich verringern.

Auch die lokale Wirtschaft profitiert vom E-Card-System – „in mehrfacher Hinsicht“, wie UN-Mitarbeiterin Miller betont. Zum einen gewinnen die rund 250 am Programm beteiligten Geschäfte zahlreiche neue Kunden. Denn die Syrer nutzen die elektronischen Karten offenkundig gerne, um sich zum Beispiel mit frischen Produkten zu versorgen. Vor den Kassen vieler Läden im Bekaa-Tal – dort leben derzeit fast 250 000 Flüchtlinge – bilden sich inzwischen regelmäßig lange Schlangen vor den Kassen. Zur Freude der Geschäftsführer. Nach Angaben der UN sind 2013 dank des Programms mehr als 70 Millionen Euro in die regionale Wirtschaft des Landes geflossen. Was dazu beiträgt, Vorbehalte gegenüber den aus ihrer Heimat geflohenen Syrern abzubauen. Denn die Vertriebenen konkurrieren mit den Einheimischen um Wohnungen und Jobs. Soziale Spannungen bleiben da nicht aus.

Das E-Card-System ändert aber nur wenig am Ausmaß der humanitären Katastrophe, die der Konflikt in Syrien verursacht hat. Nach Angaben des Welternährungsprogramms müssen schon bald sieben Millionen Vertriebene innerhalb und außerhalb des Landes versorgt werden – weil sie hungern. „Dies ist seit Jahrzehnten die schlimmste Krise“, sagt Muhannad Hadi, UN-Nothilfe-Koordinator für Syrien. Deshalb ist unter anderem geplant, die Essensrationen zu vergrößern und 240 000 Kinder im Alter von sechs bis 23 Monaten mit Spezialnahrung zu unterstützen.

Doch dafür braucht es viel Geld. Die Vereinten Nationen haben daher die Staatengemeinschaft für 2014 um fast fünf Milliarden Euro gebeten. Die Frage ist nur, ob der Bitte um Unterstützung – der größte Hilfsappell für einen einzelnen Staat in der Geschichte der UN – nachgekommen wird. Private und kirchliche Organisationen wie Care, Save the Children und World Vision sind eher skeptisch. Sie verweisen in einer Erklärung darauf, dass die UN bereits im Juni gut drei Milliarden Euro angemahnt hätten. Bis heute seien aber lediglich 60 Prozent der Summe überwiesen worden. „Es ist dringend an der Zeit, dass aus Zusagen endlich Zahlungen werden“, fordert Robert Lindner von Oxfam Deutschland. Alles andere wäre ein Armutszeugnis für die reichen Staaten dieser Welt. Christian Böhme

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