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Menschen in Heidenau (Sachsen) demonstrieren am 26. August 2015 am Straßenrand.

© dpa/picture alliance

Ein Jahr nach den Ausschreitungen: Heidenau ist bis heute gespalten

Im August 2015 war "Heidenau" tagelang das Synonym für Ausländerfeindlichkeit in Deutschland. Vor einer Unterkunft hatte sich der Hass auf Flüchtlinge entladen.

Bundesweite Schlagzeilen. Im August 2015 dominiert die Heidenau in Sachsen die Berichterstattung. Krawalle hatte es auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise schon zuvor in Sachsen gegeben. Doch nirgendwo waren sie so heftig wie in Heidenau. Damals hatte das Land Sachsen in Windeseile einen leerstehenden Baumarkt zur Erstaufnahme von Flüchtlingen herrichten lassen. Ein Stadtrat der rechtsextremen NPD rief zum Protest auf. Am Nachmittag des 21. August zogen 1000 Leute durch Heidenau, unter ihnen Neonazis, aber auch Familien mit Kindern. Ein Teil machte nach dem Ende der Demo weiter Stimmung – direkt vor dem Baumarkt.

Dort liefen gerade die letzten Vorbereitungen für die Aufnahme der Flüchtlinge. Schon bald flogen Steine, Flaschen und Feuerwerkskörper. Die Polizei setzte Tränengas gegen die wütende Menge ein. 31 Beamte wurden verletzt. Zwei Nächte lang tobte der Mob. Vizekanzler Sigmar Gabriel nannte Neonazis später „Pack“. Er war genauso nach Heidenau geeilt wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die man hier als „Volksverräterin“ schmähte und auf üble Weise beleidigte. Bürgermeister Jürgen Opitz, der deutliche Worte zu dem fremdenfeindlichen Mob fand, musste hilflos mit ansehen, wie in seiner Stadt der Hass überkochte.

Ein Jahr später wirkt die 16.500 Einwohner zählende Stadt nahe Dresden verschlafen. Die Unterkunft ist seit langem unbewohnt und wird vom Deutschen Roten Kreuz als Lager genutzt. Deshalb ist Wachschutz vor Ort. Da kaum noch Geflüchtete kommen, hat Sachsen viele Flüchtlingsquartiere geschlossen. An einem Briefkasten, der an einem Container am Baumarkt befestigt ist, hat jemand ein Schild mit der Aufschrift „Unbekannt verzogen“ angebracht. An die Ausschreitungen erinnert nichts mehr.

„Heidenau ist nicht bunt, Heidenau ist noch immer braun“

Verschwunden ist auch die „Miteinander“-Skulptur, die als Reaktion auf die Randale im Oktober 2015 entstand. Rechtsextreme hatten sie später in den Farben Schwarz-Weiß-Rot angemalt. Bei der Enthüllung warb Bürgermeister Opitz für Toleranz. Auch die gab es im Sommer 2015 in Heidenau reichlich. Denn zur Wahrheit gehört auch, dass sich Bürger in rührender Weise um die Flüchtlinge kümmerten. Auch die Facebook-Seite „Heidenau ist bunt“ warb um Vielfalt in der Stadt.

„Heidenau ist nicht bunt, Heidenau ist noch immer braun“, sagt dagegen einer der Akteure, die sich um die Baumarkt-Flüchtlinge kümmerten. Andere sehen die Lage optimistischer. In Heidenau habe die Zivilgesellschaft letztlich Stärke bewiesen, sagt Sachsens Linke-Chef Rico Gebhardt. Bürgermeisters Opitz habe dazu beigetragen: „Damit wurde er zum moralischen Leuchtturm in einem Landkreis, in dem viele Kommunalpolitiker gegen Geflüchtete auf die Barrikaden gingen, obwohl sie nicht einen Flüchtlinge vor Ort hatten.“

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fuhr nach Heidenau und wurde als „Volksverräterin“ beschimpft.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) fuhr nach Heidenau und wurde als „Volksverräterin“ beschimpft.

© dpa

Julia Schindler koordinierte die Arbeit der Helfer von Heidenau für den Verein Aktion Zivilcourage. Rund 750 Hilfsangebote seien damals eingegangen, pro Woche hätten 80 Ehrenamtliche in der Unterkunft gearbeitet. Schindler weiß, das viele von ihnen angesichts der Gewalt anfangs eingeschüchtert waren. Da sei manchmal ein Riss selbst durch Familien gegangen. Und manche hätten auch nicht erzählt, dass man eigentlich mithelfen wolle. „Doch später haben sie offen dazu gestanden. Die gefühlte Angst ist zurückgegangen“, sagt Schindler.

Pfarrerin Erdmute Gustke hat Heidenau damals aufgewühlt erlebt. Es habe zwei extrem unterschiedliche Reaktionen auf die Flüchtlinge gegeben: gewalttätige Abwehr und herzliche Aufnahme. Gustke hatte als Reaktion zu Gebeten in die evangelische Kirche eingeladen. Das sei für viele Heidenauer ein „Anker inmitten einer aufgewühlten See“ gewesen. Zudem sei es zu Begegnungen mit Flüchtlingen gekommen.

Zum Fazit gehört, dass Heidenau kein Einzelfall blieb

Ein Jahr danach sieht Gustke die Flüchtlinge noch immer als Reizthema. Es gebe „die Einen, die Anderen und die in der Mitte“. Die Einen würden Migranten weiterhin als Eindringlinge in ihre Welt verstehen: „Diffuse Ängste und hartherzige Abwehr gegen Hilfesuchende äußern sich nicht mehr mit erschreckender Gewalt, aber wirklicher Frieden in Bezug auf Ausländer wird von ihnen weiterhin verweigert.“ Gustke spricht von einer frostigen Atmosphäre. Dieser Teil Heidenaus empfinde Flüchtlinge als Zumutung.

„Die Anderen sehen sich dagegen in ihrem Engagement bestätigt“, sagt die Pfarrerin. Hilfsbereitschaft und Offenheit seien in Heidenau ungebrochen. In der Mitte dagegen differenziere man sehr zwischen Asylbewerbern: „Bei Kriegsflüchtlingen ist das Verständnis und der Wille zur Aufnahme in die Gemeinschaft größer.“ Die Offenheit sei nicht zuletzt davon abhängig, wie sich die Flüchtlinge in der Öffentlichkeit verhalten.

Zum Fazit gehört, dass Heidenau kein Einzelfall blieb. Es gab weitere Krawalle, ob in Freital, Clausnitz oder anderswo. „Heidenau war leider nicht das Ende der Gewaltspirale“, sagt Volkmar Zschocke, Fraktionschef der Grünen im Landtag in Sachsen. Noch immer sei der Freistaat eine Hochburg Rechtsextremer. Bis in die Mitte der Gesellschaft gebe es große Vorbehalte gegen fremde Kulturen, Lebensweisen und Religionen: „Diese Voreingenommenheit bildet oft erst den Nährboden für Nationalismus und Rassismus.“

„Heidenau hat auf tragische Weise gezeigt, wo die Probleme in Sachsen liegen. Mit der AfD und Pegida heizen zwei rechtspopulistische Bewegungen die Stimmung im Internet und auf der Straße mit antidemokratischer und rassistischer Hetze an“, hebt der SPD-Politiker Henning Homann hervor. Auch in der Landespolitik seien Fehler gemacht worden: „Zu lange wurde das Problem Rassismus auch von der CDU nicht ernst genug genommen. Zu oft fehlte auch politischen Verantwortungsträgern eine klar positive Haltung zu Asylsuchenden.“ Der Extremismusforscher Tom Thieme von der Universität in Chemnitz sieht das ähnlich: „Verschweigen und Herunterspielen war lange Zeit die Linie der Landesregierungen – nicht aus Sympathie und Nähe zu Rechtsaußenpositionen, sondern aus Sorge um den Imageschaden des vermeintlichen Vorzeigelandes.“ Frei nach dem Motto „bloß keine braunen Flecken auf der weißen Sachsenweste“. Doch mittlerweile habe sich das Bild gewandelt. (dpa)

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