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Japanische Arbeiter am havarierten Atomkraftwerk Fukushima.

© AFP

Ein Jahr nach Fukushima: Tauziehen um Japans Atomenergiepolitik

Auch ein Jahr nach Fukushima stemmt sich Japans starke Atomenergielobby noch gegen die Abkehr von der Kernenergie. Zugleich beobachtet unsere Gastautorin Alexandra Sakaki, dass der Gegenwind einer kritischen Öffentlichkeit zunimmt.

Nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Kernkraftwerk Fukushima vor einem Jahr zog die deutsche Politik rasch Konsequenzen: Sie gab den Ausstieg aus der Kernenergie bis 2022 bekannt. Japan, von der Katastrophe selbst betroffen und äußerst erdbebengefährdet, hat bisher keinen so weitreichenden Beschluss gefasst - und das Tauziehen um eine Energiewende dauert an.

Bis vor einem Jahr galt der Atomstrom im rohstoffarmen Japan als kostengünstige, sichere Energiequelle, durch die sich Abhängigkeiten von Öl- oder Erdgasimporten ebenso wie CO2-Emissionen verringern lassen. Mit dem Bau von vierzehn neuen Reaktoren sollte der Kernkraftanteil an der Stromversorgung von dreißig Prozent im Jahr 2010 auf über fünfzig Prozent im Jahr 2030 gesteigert werden. Die Bevölkerung vertraute Beteuerungen von Energiekonzernen und Regierung, wonach Atomstrom sicher sei.

Unterstützung verschafften sich die Energiekonzerne unter anderem durch großzügige finanzielle Zuwendungen an politische Parteien und Universitäten. Kommunen, die sich als Kraftwerkstandort anboten, erhielten von der Regierung Subventionen von bis zu 20 Millionen Yen (184.000 Euro) pro Jahr - ein großer Anreiz für finanziell schlecht gestellte ländliche Gebiete. So konnte die Kernenergie in Japan jahrzehntelang praktisch frei von öffentlicher Kritik ausgebaut werden.

Aus dem Dornröschenschlaf erwacht

Die Nuklearkatastrophe veränderte das öffentliche Bewusstsein schlagartig. Heute ist die Bevölkerung äußerst besorgt über die unkontrollierbaren Folgen atomarer Unfälle. Eine Gruppe prominenter Intellektueller, darunter Literatur-Nobelpreisträger Kenzaburo Oe, will die Regierung mit zehn Millionen Unterschriften zum energiepolitischen Kurswechsel bewegen. Bereits fünf Millionen Bürger haben die Aktion unterstützt. Inzwischen misstrauen die Japaner mehrheitlich den engen Verflechtungen von Energieunternehmen und Politik und sehen die im letzten Jahr von der Regierung angeordneten Sicherheits-Stresstests äußerst kritisch. Argwohn der ansässigen Bevölkerung lässt Lokalregierungen vor der Wiederinbetriebnahme der Atomanlagen zurückscheuen.

Die Konfrontation mit derartig massiven Sicherheitsbedenken ist für die großen Energieunternehmen ungewohnt. Fast verzweifelt versuchen sie, das Stimmungsbild zu beeinflussen. Der größte Reaktorbetreiber Japans, Kansai Electric Power Company, ließ kürzlich Mitarbeiter in der Nähe seiner Reaktoranlagen von Tür zu Tür gehen, um Ängste der Anwohner zu zerstreuen.

Für Schlagzeilen sorgte der Versuch der Kyushu Electric Power Company im vergangenen Juni, die Berichterstattung der Medien zu manipulieren. In einer über Kabelfernsehen und Internet ausgestrahlten Sendung wurde die Wiederinbetriebnahme des Nuklearkomplexes in Saga diskutiert. Die Bürger waren eingeladen, ihren Standpunkt per Mail darzulegen. Um das Stimmengewicht zugunsten der Wiederinbetriebnahme zu kippen, forderte das Unternehmen seine Mitarbeiter auf, 140 befürwortende Kommentare einzusenden. Ein Firmenangestellter aber informierte die Presse, und die Manipulation wurde bekannt. Die Offenlegung des Skandals bestätigte die Kernkraft-Gegner in ihrer Kritik an den Machenschaften der Atomenergielobby.

Japan am Scheideweg

Japans Atomkraftwerke auf einen Blick.
Japans Atomkraftwerke auf einen Blick.

© AFP

Weil sich Lokalregierungen weigern, einer Wiederinbetriebnahme zuzustimmen, laufen in Japan derzeit nur noch zwei der 50 Reaktoren, und diese müssen turnusgemäß bis Ende April für Inspektionsarbeiten vom Netz genommen werden. Japan wird dann voraussichtlich atomstromfrei sein. Eine Energiewende nach deutschem Vorbild ist dennoch ungewiss.

Zurzeit kompensiert das Land den fehlenden Atomstrom durch Öl-, Erdgas- und Kohleimporte. Angesichts der weltweit hohen Rohstoffpreise ist dies jedoch teuer. Wirtschaftsminister Yukio Edano kündigte Strompreiserhöhungen zwischen 5 und 15 Prozent an. Werden die Zusatzkosten für Energieimporte direkt an den Endverbraucher weitergereicht, rechnet die Japan Electric Association gar mit einem Preisanstieg um zwanzig Prozent.

Führende Industrielle warnen vor den nachteiligen Auswirkungen hoher Energiekosten auf die Wirtschaft und plädieren für eine baldige Wiederinbetriebnahme von Atomkraftwerken, unterstützt von der Mehrheit der Japaner. Zwar befürworten aufgrund von Sicherheitsbedenken laut Umfragen siebzig Prozent langfristig die teilweise oder vollständige Abkehr von der Atomenergie; aus wirtschaftlichen Überlegungen aber sprechen sich knapp sechzig Prozent für die vorläufige weitere Nutzung aus. Immerhin dreißig Prozent der Befragten treten für eine schnellstmögliche Abschaltung aller Kernkraftwerke ein, trotz zu befürchtender Energiepreissteigerungen und Versorgungsengpässe.

Wie bei einer Atomenergie-Reduktion oder gar einem Ausstieg die Lücke in der japanischen Energieversorgung geschlossen werden könnte, ist ungeklärt. Immerhin sind alternative Energien auf dem Vormarsch. Bereits im letzten Sommer kündigte der Geschäftsführer der Firma Softbank, Masayoshi Son, den Bau von zehn 20-Megawatt-Solarkraftwerken an, wobei er außer Firmenkapital auch eine Milliarde Yen (gut 9 Millionen Euro) aus seinem privaten Vermögen investieren will. Andere Firmen wie Hitachi oder Toyota planen ebenfalls Solarkraftwerke, auch um ihre eigenen Produktionsstätten mit Strom zu versorgen. Die nach dem Tsunami im Nordosten des Landes brachliegenden Felder bieten sich für den Bau von Solarparks an und eröffnen somit eine große Chance, Japan unabhängiger von Atomstrom zu machen.

Aufschluss über Japans zukünftige Orientierung wird im August 2012 der neue Energieplan geben, für dessen Entwurf die Regierung eine Expertenkommission beauftragt hat. Medienberichten zufolge lehnt ein Drittel der fünfundzwanzig Mitglieder eine auf Kernkraft fokussierte Energiepolitik nachdrücklich ab. Damit erhöhte sich der Anteil der Gegner zwar im Vergleich zu vergangenen Kommissionen, sie stellen aber weiterhin eine Minderheit dar. Die Zusammensetzung der Kommission demonstriert insofern den großen Einfluss der japanischen Atomenergielobby. Seit der Nuklearkatastrophe von Fukushima wird diese jedoch zunehmend von einer kritischen Öffentlichkeit beargwöhnt.

Die Autorin forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) zu Japan. Die Stiftung berät Bundestag und Bundesregierung in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Ihr Beitrag erschien zuerst auf der SWP-Homepage in der Rubrik Kurz gesagt.

Alexandra Sakaki

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