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Wütende Studenten in Ägyptens Hauptstadt Kairo. Ein Jahr nach Mubaraks Sturz hat sich die Hoffnung auf mehr Freiheit für viele nicht erfüllt.

© AFP

Ein Jahr nach Mubaraks Sturz: Postrevolutionärer Jammer in Ägypten

Vor einem Jahr trat der ägyptische Präsident Mubarak ab. Doch die Hoffnung auf ein neues Ägypten hat sich nicht erfüllt. Jetzt wollen enttäuschte Aktivisten die Militärs per Generalstreik zum Rückzug zwingen.

Am ersten Jahrestag des Sturzes von Ägyptens langjährigem Präsidenten Hosni Mubarak haben landesweit zahlreiche Menschen für den sofortigen Rückzug des Militärs von der Macht demonstriert. An den wichtigsten Universitäten des Landes begannen am „Tag des zivilen Ungehorsams“ bereits am Morgen Demonstrationen. Der Oberste Militärrat kündigte als Reaktion auf die Proteste die Stationierung zusätzlicher Truppen im ganzen Land an.

Als vor genau einem Jahr um 17.07 Uhr Vizepräsident Omar Suleiman mit steinerner Miene im Staatsfernsehen erschien, lagen sich Soldaten und Demonstranten jubelnd in den Armen. „Unter diesen schwierigen Umständen, die das Land derzeit durchmacht, hat Präsident Hosni Mubarak entschieden, das Amt des Präsidenten niederzulegen“, las Suleiman mit belegter Stimme vom Blatt. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, die ganze Nacht feierten Hunderttausende auf dem Tahrir-Platz in Kairo ihren Sieg. Der entthronte Potentat hatte sich da schon per Flugzeug in sein Domizil nach Scharm al Scheich abgesetzt. „Ägypten wird niemals mehr so sein wie vorher“, gratulierte US-Präsident Barack Obama aus der Ferne.

Nach einem Jahr ist von dieser kollektiven Euphorie nur noch wenig zu spüren. Auf den Straßen macht sich Kriminalität breit, die Wirtschaft liegt am Boden, Touristen bleiben weg, und die Staatsfinanzen sind außer Kontrolle geraten. Andererseits hat das Volk das erste demokratische Parlament in der Geschichte Ägyptens gewählt sowie den Prozess gegen seinen Langzeit-Pharao erzwungen. Wahrscheinlich noch im Februar sieht der 83-Jährige jetzt seinem Urteil wegen Mord und Beihilfe zum Mord in 846 Fällen entgegen.

Auf Anweisung des Innenministeriums soll Mubarak aus dem Kairoer Militärkrankenhaus in eine Zelle im Thora-Gefängnis verlegt werden, auch weil die Verantwortlichen fürchten, ein bewaffneter Mob könnte das Hospital stürmen und den Ex-Präsidenten lynchen. Bis Ende nächster Woche haben noch die Verteidiger das Wort. Dann will der Vorsitzende Richter Ahmed Refaat den Termin für das Urteil bekannt geben.

Bilder von den tödlichen Ausschreitungen in Port Said

Fast jeden Morgen landete in den letzten sechs Monaten kurz vor neun Uhr der weiße Hubschrauber auf dem weitläufigen Gelände der Zentralen Polizeiakademie in Kairo. Minuten später wurde der in Decken eingehüllte Ex-Präsident auf einer Bahre in den vergitterten Käfig gerollt, der eigens für den Prozess in das Auditorium eingebaut wurde. Genauso regelmäßig lieferten sich draußen vor den Toren Anhänger und Gegner des Hauptangeklagten ihre ritualisierten Schlägereien.

Die einen liefen mit symbolischen Galgenstricken umher, die anderen mit Heldenplakaten ihres gestürzten Idols. Und drinnen stießen die Gegensätze im Juristenarabisch ebenso hart aufeinander. Für die Staatsanwaltschaft ist Mubarak ein „tyrannischer Führer“, der für die tödlichen Schüsse auf Demonstranten voll verantwortlich ist und exekutiert gehört. Darüber hinaus habe er „die Korruption im Land ausgebreitet, die Türen für seine Freunde und Verwandten geöffnet und das Land bedenkenlos ruiniert“, plädierte Chefankläger Mustafa Suleiman. Der Ex-Diktator verdiene es, „in Erniedrigung und Entwürdigung zu enden – vom Präsidentenpalast über den Angeklagtenkäfig hin zur härtesten aller Strafen“.

Gegenspieler Farid al Deeb, der Chefverteidiger Mubaraks, dagegen zeichnete in blumiger Sprache das Bild eines zu Unrecht verleumdeten Opfers, das 29 Jahre lang seine ganze Kraft in den Dienst der Nation gestellt hat und jetzt hinterlistig traktiert wird von seinem bösartigen und undankbaren Volk. Mubarak sei kein blutrünstiger Tyrann, sondern eine untadelige Persönlichkeit, die kein Unrecht auf sich geladen habe. „Alles Lügen, alles Lügen, hängt Mubarak auf“, unterbrachen ihn erregt Dutzende Anwälte der Opfer. Nur mit Mühe konnten die Sicherheitskräfte verhindern, dass die Advokaten im Saal mit Fäusten aufeinander losgingen.

Draußen im Land dagegen entladen sich die postrevolutionären Spannungen mittlerweile regelmäßig in schweren Krawallen, zuletzt in Port Said und Kairo mit fast hundert Toten und über 3000 Verletzten. Zum Feiern ist am Jahrestag von Hosni Mubaraks Sturz niemandem zumute. Stattdessen wollen die Aktivisten ganz Ägypten jetzt mit einem Generalstreik lahmlegen und so den Rücktritt der nun herrschenden Militärführung erzwingen.

(mit AFP)

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