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Politik: „Ein Kilo Obst könnte einen Cent teurer werden“

Verkehrsminister Stolpe über die Auswirkungen der Lkw-Maut und Peinlichkeiten in seiner Partei

Herr Stolpe, seit Wochen sind Deutschlands Spediteure verunsichert, weil sie nicht wissen, mit welchen Belastungen sie in vier Wochen rechnen sollen. Wann müssen die LKWFahrer denn nun wirklich für die Autobahnbenutzung zahlen?

Die Maut kommt am 31. August, und wir wollen sie mit und nicht gegen die Nutzer einführen. Diese zentrale verkehrspolitische Strukturreform soll von Anfang an ein Erfolg werden, und daher gehen wir auf Nummer sicher. Wir haben uns mit dem Betreiberkonsortium auf eine zweimonatige aktive Einführungsphase geeinigt, in der das System von den Nutzern real auf Herz und Nieren getestet werden kann. Mit dem Einzug der Mautgebühren starten wir am 2. November und dann setzen auch die Sanktionen ein.

Genau dieses Modell haben Sie die ganze Woche dementieren lassen.

Es wurde behauptet, die Maut würde auf November verschoben. Das ist falsch, denn es bleibt dabei, dass sie wie vorgesehen am 31. August startet. Neu ist in der Tat die Einführungsphase. Und erst nachdem nun eine Verständigung darüber erzielt wurde, kann man das auch bekannt geben. Zuerst müssen die Eier gelegt werden, bevor man gackert. Und die Eier zu legen war ein langer und anstrengender Prozess, der erst am Mittwochabend abgeschlossen wurde.

War das Hin und Her über die angemessene Zahl der so genannten On-Board-Units (OBUs), also die Abrechnungscomputer im Lkw, für Sie ausschlaggebend?

Die OBUs sind eigentlich eine Erfolgsgeschichte. Bei Gesprächen mit den Betroffenen vor einem halben Jahr sind die Speditionsverbände noch davon ausgegangen, dass nur rund 50 000 OBUs benötigt würden. Wir hatten uns dann mit Toll Collect zunächst auf 150 000 dieser Fahrzeuggeräte geeinigt und fühlten uns damit auf der sicheren Seite. Doch dann stellte sich heraus, dass es einen richtigen Run auf die Geräte gibt. Weitere 100 000 haben wir deswegen nachverhandelt. Nun haben wir uns mit dem Konsortium auf 450 000 bis Anfang November geeinigt.

Das heißt, die Spediteure sind selbst schuld an dem Durcheinander?

Wir beklagen uns nicht. Wir haben immer möglichst viele Geräte in den Lkws gewollt. Nun tragen wir der großen Nachfrage Rechnung. Bei allen Zahlen über die OBUs dürfen die anderen Zugangssysteme nicht vergessen werden. Die Transporteure können ab 31. August nicht nur „on board“ und an Stationen der Tankstellen, sondern auch über das Internet an der Maut-Einführungsphase aktiv teilnehmen und das System einem echten Praxistest unterziehen.

Mit Verlaub, Herr Stolpe, Deutschland spricht, wie Sie sagen, seit zwanzig Jahren über die Maut, die größten Konzerne Deutschlands sind an der technischen Umsetzung beteiligt, und Sie sind einen Monat vor dem Start offensichtlich nicht sicher, ob das Ganze überhaupt funktionieren wird. Ist das nicht ein Armutszeugnis?

Ich vertrete nicht den Betreiber des Systems, bin mir aber mit ihm sicher, dass die Technik funktionieren wird. Trotz vieler gegenteiliger Hinweise, die wir ja sehr ernst nehmen. Meine Verantwortung liegt darin, einen störungsfreien Start zu gewährleisten. Und dabei möchte ich Sicherheit haben. Deshalb laufen permanent Gespräche mit dem Unternehmen Toll Collect. Klar ist: Die Lkw-Maut in Deutschland ist fair, gerecht und notwendig. Sie wird mit einer wegweisenden Zukunftstechnologie erhoben, und ich prognostiziere, dass den satellitengestützten Systemen die Zukunft gehört, in Europa und weltweit. Diese Zukunftsperspektive wollen wir nicht durch unnötige Diskussionen am Start kaputtreden.

Chaotisch mutet ja nicht nur dieser Teil des Warmlaufens an. Auch Ihr Streit mit Brüssel gefährdet den Start der Maut.

Das ist nicht so.

Die Kommissarin Loyola de Palacio behauptet aber das Gegenteil. Was stimmt denn nun?

Auf Brüssel haben wir rechtzeitig reagiert. Das so genannte Mautanrechnungsverfahren, das die Kommission nun beihilferechtlich prüft, wurde von uns im Frühjahr bewusst vom Prozess der Mauteinführung abgekoppelt und getrennt angemeldet. Wir haben der Kommission von Anfang an mitgeteilt: Ohne das O.K. aus Brüssel wollen und werden wir das Anrechnungsverfahren auch nicht einführen. Im Übrigen ist das Anrechnungsverfahren längst inhaltlich vom Mautprojekt getrennt, genau so, wie es Brüssel nun fordert.

Dennoch bringt das Gezerre um die Maut große Verunsicherung in die deutsche Wirtschaft. Allein schon, weil die Post den Paketversand verteuern will. Hat die rot-grüne Bundesregierung nicht Sicherheit versprochen, damit der Aufschwung kommt?

Die Maut hat kaum nachweisbare Auswirkungen auf das Preisniveau. Ein Kilo Obst könnte sich höchstens um einen Cent, der Joghurtbecher um einen halben erhöhen. Wer allerdings ohnehin die Preise anheben will, der hat mit der Maut jetzt ein willkommenes Argument. Dennoch ist das unredlich, denn die Belastungen sind für den Einzelnen wirklich verträglich. Der Markt wird letztlich die Preise regeln, und versteckte Preistreiber tun sich keinen Gefallen. Die Einnahmen ermöglichen stattdessen Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, die wiederum für mehr Aufträge sorgen werden. Die Maut stabilisiert die Bauwirtschaft.

Was gefährdet den Aufschwung denn sonst? Etwa das Zerreden der Steuerreform, an dem sich auch Ihre Partei kräftig beteiligt?

Im Sommer wird immer jedes Husten multipliziert. Das muss man nicht so ernst nehmen. Ich bin sicher, das ganze Bündel der Maßnahmen, das wir uns vorgenommen haben, wird kommen. Bis dahin, dass die Steuerreformstufe III um ein Jahr vorgezogen wird. Da wird es sicher noch intensive Diskussionen über Details geben. Aber am Ende, und ich gehe davon aus, dass dieser Zeitpunkt nach der Landtagswahl in Bayern liegt, wird das Ergebnis alle zufrieden stellen.

So zufrieden, wie der Gesundheitskompromiss, an dem jetzt alle schon wieder herummäkeln?

Was da im Augenblick abläuft, ist teilweise wirklich peinlich, auch innerhalb meiner Partei. Die Kommission hat zu einem Kompromiss gefunden, der immer so gut oder so schlecht ist, wie eben jeder Kompromiss. Doch nun muss das Ergebnis auch umgesetzt werden. Das ist mittlerweile für alle Parteien eine Frage der Ehre. Das gilt im Übrigen auch für die Gemeindefinanzreform.

Bei der es auch mehr Streit als alles andere gibt.

Die Kommunen brauchen das Geld, um zu investieren und damit Arbeitsplätze zu sichern. Da darf es keine Verunsicherungen geben.

Der Vorschlag von Hans Eichel, die Freiberufler zur Gewerbesteuer heranzuziehen und ansonsten die Bundesländer zur Kasse zu bitten, hat dort keine Euphorie ausgelöst.

Ich weiß nicht, ob die Verschiebung von Anteilen der Mehrwertsteuer zu Gunsten der Kommunen die beste Lösung ist. Meine Auffassung ist, dass die Kommunen einen spürbaren finanziellen Gewinn vor allem aus der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe ziehen müssen. Und mit spürbar meine ich Milliarden Euro, durchaus einige Milliarden. Die rot-grüne Regierung hat das versprochen. Und nun muss das auch durchgezogen werden.

Ganz nebenbei, Herr Stolpe, sind Sie der Ost-Beauftragte der Bundesregierung. Kommen Sie eigentlich überhaupt noch dazu, Ihr Amt als Präsident aller Ostdeutschen auszuüben?

Wer sich immer und überall hinstellt und einfach nur mehr Rücksichtnahme auf die Umstände in Ostdeutschland einfordert, der erreicht am Ende nichts. Deshalb konzentriere ich mich darauf, den Bedarf für Ostdeutschland dort anzumahnen, wo er wirklich gerechtfertigt ist.

Das Gespräch führten Antje Sirleschtov und Bernd Hops.

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