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Politik: Ein Königreich für eine Regierung

In Belgien werden die Parteien 2007 nicht einigen

Ein neuer Bericht beim König, ein anderes Treffen der Parteispitzen, ein weiterer Tag ohne Regierung in Belgien. Das Auf und Ab in der Regierungskrise im belgischen Königreich will kein Ende haben. In der Nacht von Donnerstag auf Freitag trafen sich die Vertreter der flämischen und frankofonen Parteien wieder einmal hinter verschlossenen Türen und ohne konkrete Ergebnisse. Am nächsten Morgen war lediglich vorsichtiger Optimismus zu hören: „Es gab keinen Zusammenstoß. Eine neue Verhandlungsepisode kann beginnen“, hieß es nach dem Treffen in Brüssel.

Trotzdem will niemand mehr so recht glauben, dass sich die Parteien in den kommenden Wochen auf eine gemeinsame Regierung einigen könnten. Seit fast 170 Tagen hat Belgien keine Regierung mehr. Seit Anfang Juli diskutieren frankofone und flämische Politiker über die Zukunft des Landes und können sich auf keine gemeinsame Linie für die zukünftige Koalition einigen. Immer wieder gab es Hoffnung, immer wieder wurde sie enttäuscht. Auch die Demonstration von rund 35 000 Belgiern am vergangenen Wochenende, die sich für die Einheit ihres Landes einsetzten, scheint keinen Eindruck gemacht zu haben auf die zerstrittene Politikelite.

„Wir hatten noch nie eine so große Krise in unserem Land. Die Vorstellungen über die Zukunft des Staates von Frankofonen und Flamen lassen sich nicht mehr vereinbaren“, sagt der Politikwissenschaftler Pierre Vercauteren von der Universität Mons.

Was von außen kaum verständlich ist, durchzieht den belgischen Staat wie ein tiefer Graben. Die Flamen im Norden und die Frankofonen im Süden driften auf der politischen Ebene immer weiter auseinander. „Dabei geht es nicht zuletzt um Macht, um die Dominierung des anderen“, sagt ein Beobachter in Brüssel.

Viele Beispiele aus den vergangenen Wochen illustrieren den desolaten Zustand des Landes. Meistens geht es dabei um die Sprache und darum, ob die frankofonen Belgier im flämischen Teil des Landes gewisse Privilegien behalten dürfen oder nicht. Besonders schwierig ist diese Frage rund um die Hauptstadt Brüssel. Die liegt in Flandern, wird aber mehrheitlich von Frankofonen bewohnt.

Am Freitag etwa vermeldeten die frankofonen Zeitungen, dass französischsprachige Belgier in den Randgemeinden von Brüssel kein Anrecht mehr haben auf Gerichtsverfahren in ihrer Sprache. Eine Woche zuvor hatte der zuständige Ausschuss im Parlament die Auflösung des Wahlbezirks Brüssel – Halle – Vilvoorde beschlossen. Auch dieser Sektor liegt auf flämischem Gebiet, wird aber größtenteils von Frankofonen bewohnt. Bisher durften die Frankofonen zum Beispiel bei Parlamentswahlen für französischsprachige Kandidaten stimmen. Die Flamen, die im Ausschuss die Mehrheit haben, haben das nun einseitig abgeschafft – sehr zum Ärger der Frankofonen.

Und so hangeln sich die Politiker von einer Minikrise zur nächsten. „Bedauerlicherweise geht dabei die Notwendigkeit der Reformen völlig unter“, sagt der Politikwissenschaftler Vercauteren. Denn die Flamen fordern keineswegs nur inakzeptable Dinge. Sie wollen unter anderem das Sozialsystem reformieren, den Regionen mehr Mitsprache geben und den belgischen Staat effizienter gestalten. „Wer braucht schon sieben Parlamente in einem Staat mit zehn Millionen Bürgern?“, fragt einer der Verhandlungsteilnehmer in Brüssel. Der flämische Christdemokrat und designierte Premierminister Yves Leterme will noch nicht aufgeben und hat seine frankofonen und flämischen Kollegen eingeladen, die Gespräche fortzusetzen.

Nur wie lange die noch dauern werden, weiß keiner. Ursprünglich war eine neue Regierung für Anfang September geplant, dann für Mitte November. In der Zwischenzeit befürchten die meisten, dass sich die Verhandlungen noch bis zum Jahresende ziehen könnten.

Freuen kann sich darüber nur der bisherige Premierminister Guy Verhofstadt. Der hat nämlich – trotz herber Wahlniederlage im Juni – glatt noch ein halbes Jahr Regierungszeit hinzugewonnen.

Ruth Reichstein[Brüssel]

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