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Politik: Ein Mann mit vielen Feinden

Von Elke Windisch, Moskau In Kabul herrscht einen Tag nach dem Mord an dem afghanischen Vizepräsidenten Hadschi Abdul Kadir Ratlosigkeit. Kadirs Wagen war am Samstag von 36 Kugeln durchsiebt worden.

Von Elke Windisch, Moskau

In Kabul herrscht einen Tag nach dem Mord an dem afghanischen Vizepräsidenten Hadschi Abdul Kadir Ratlosigkeit. Kadirs Wagen war am Samstag von 36 Kugeln durchsiebt worden. Der Anschlag gehe auf das Konto „verschiedener Feinde Afghanistans, die gegen Frieden und Wiederaufbau sind“, sagte Regierungssprecher Omar Samad, der hofft, dass der Friedensprozess und die nationale Aussöhnung durch den Anschlag nicht gefährdet werden. Doch es gibt auch andere Stimmen, die sagen, Kadir sei einem Machtkampf innerhalb der Kabuler Regierung zum Opfer gefallen.

Tatsächlich galt Kadir als aussichtsreicher Kandidat für die 2004 geplanten freien Wahlen. Mit ihm sympathisierte die Mehrheit der Paschtunen als größter Volksgruppe, deren mangelnde Repräsentanz in der Regierung Kadir sowohl auf der Bonner Afghanistankonferenz als auch bei der Großen Ratsversammlung Mitte Juni, der Loya Dschirga, kritisiert hatte. Als einer der wenigen Paschtunenführer in der fast ausnahmslos von ethnischen Tadschiken dominierten Nordallianz hatte er auch bei diesen kleineren ethnischen Gruppen Anhänger.

Außerdem wurde Kadir wegen seiner guten Verbindungen zu islamischen Hardlinern wie dem tadschikischen Expräsidenten Burhanuddin Rabbani und paschtunischen „freien Radikalen“ wie dem früheren Premierminiser Gulbuddin Hekmatyar als potenzielle nationale Integrationsfigur gehandelt. Die Tatsache, dass sich Kadir im Gegensatz zum amtierenden Präsidenten Hamid Karsai aktiv am Widerstand gegen die Taliban beteiligte, brachte ihm in der Bevölkerung weitere Sympathiepunkte ein.

Doch der frühere Kriegsherr machte sich zwangsläufig auch Feinde. Vor allem bei den tadschikischen Ministern der Nordallianz, die bei den Wahlen in zwei Jahren mit einer multiethnischen Partei siegen wollen. Kadir sei ihnen in die Quere gekommen, vermutet ein Minister in Kabul.

Mindestens ebenso wahrscheinlich ist jedoch, dass Kadir Opfer des beginnenden Kampfes um internationale Wideraufbauhilfe wurde. Zuständig für das Kapitalmanagement ist neben dem Wiederaufbauministerium von Amin Farhang das Ressorts für öffentliche Arbeiten, zu dessen Chef der bis zur Loya Dschirga für Städteplanung zuständige Kadir ernannt wurde.

Noch in diesem Jahr sollen 1,8 Milliarden Dollar – ein Viertel der in Tokio von 64 Geberländern zugesagten Gelder – fließen. Kadirs Vorgänger, Abdul Qaliq Fazal traute Karsai die Verantwortung für derartige Summen offenbar nicht zu. Kadir und Farhang dagegen sind wegen ihres ererbten Reichtums über jeden Verdacht erhaben.

Kadirs Familie regiert seit Anfang des 19. Jahrhunderts die Opiumprovinz Nangahar. Bis zur Machtübernahme der Taliban profitierte sie vom Drogengeschäft und dem illegalen transasiatischen Schmuggelhandel. Um die Pfründe zu sichern, gewährte Kadir den Taliban und deren Gast Osama bin Laden anfangs sogar Unterschlupf.

Möglicherweise hat Kadirs Minister-Vorgänger den Anschlag eingefädelt, um sich zu rächen. Dafür spricht, dass zehn Leibwächter, die Kadir von dem Entmachteten übernommen hatte, nach dem Anschlag verhaftet wurden. Ganz auszuschließen ist indes auch die offiziell bevorzugte Version nicht, die den Mord Taliban- und Al-Qaida-Kämpfern anlastet. Das mögliche Motiv dieser Variante: Die Beschlüsse der Loya Dschirga sollen torpediert werden.

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