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Politik: "Ein Mann von nicht ganz einfachem Charakter"

BERLIN/WARSCHAU (ehe/Tsp).Die internationale Presse hat den Rücktritt Oskar Lafontaines überwiegend als positives Zeichen für die Wirtschaft gewertet.

BERLIN/WARSCHAU (ehe/Tsp).Die internationale Presse hat den Rücktritt Oskar Lafontaines überwiegend als positives Zeichen für die Wirtschaft gewertet.In ihren Beiträgen zweifelten eine Reihe von Kommentatoren allerdings an der künftigen Stabilität der deutschen Regierung.

"Die Londoner Times sieht in dem Rücktritt eine "gute Nachricht sowohl für Deutschland als auch für Europa".Es biete sich nun die Hoffnung auf eine "gesündere deutsche Wirtschaftspolitik", schrieb das Blatt."Wie unvollkommen die Neue Mitte des Kanzlers auch sein mag, sie kann nur besser werden verglichen zu den gefährlichen Angriffen von Herrn Lafontaine auf die Gewinne der deutschen Wirtschaft.Der Europäischen Zentralbank sollte es nun leichter fallen, die Leitzinsen zu senken.Die lauten Forderungen von Herrn Lafontaine machten es bisher schwierig, dies zu tun, ohne den Ruf als zuverlässige Währung aufs Spiel zu setzen."

Der Guardian schreibt: "Das Problem mit Oskar waren nicht seine Ideen, sondern sein Mangel an politischer Geschicklichkeit.Es war nicht klug, die Steuerharmonisierung als vorrangiges Ziel nicht nur Deutschlands, sondern auch der Europäischen Union zu betreiben, ohne sich mit seinen Nachbarn abzustimmen."

Die konservative französische Zeitung Le Figaro schreibt: "Der deutsche Superminister der Finanzen, Oskar Lafontaine, allmächtig noch vor wenigen Monaten, ist gestürzt, ein Opfer der Wirtschaft."

Der konservative Corriere della Sera aus Mailand meinte: "Lafontaine, wenn ihm auch ursprünglich durch Übertragung von Kompetenzen aus dem Wirtschaftsministerium eine sehr starke Rolle zugedacht worden war, hat sehr schnell gezeigt, daß er die Disziplin nicht erträgt, die ihm als faktische Nummer Zwei der Regierung beinahe täglich aufgezwungen wurde." Der Mann, der keinen einfachen Charakter habe, sei von seiner ganzen Verfassung her nicht in der Lage, mit anderen kollegial zusammenzuarbeiten und sich an die unausweichlichen Kompromisse zu gewöhnen, die jemand machen müsse, der nicht nur eine Partei, sondern ein ganzes Land anführe, meinte das Blatt.

Die flämische Tageszeitung De Standaard macht sich Sorgen über die Zukunft der rot-grünen Regierung: "Lafontaines Rücktritt läßt Fragen über das Fortbestehen der deutschen Regierung aufkommen.Auf den ersten Blick scheint jetzt die Position Gerhard Schröders gestärkt zu sein.Seine rot-grüne Regierung kränkelte seit ihrer Bildung im Oktober von einer Krise zur nächsten, aber im Gegensatz zu den Regierungsparteien blieb Schröder bei der deutschen Bevölkerung populär." Jetzt sei der Bundeskanzler vom unbequemsten Menschen in seiner Regierung erlöst worden und könne möglicherweise endgültig Alleinherscher in seinem Kabinett und seiner Partei werden.

Die linksliberale spanische Tageszeitung El Pais aus Madrid schrieb: "Vorerst sieht es wie ein Sieg von Bundeskanzler Gerhard Schröder aus, der zu einem Schwenk der Regierungspolitik zur Mitte führen könnte.Doch es tut sich auch eine schwere Krise in der Regierung und in der Partei auf.Und dies zu einem kritischen Zeitpunkt, nämlich während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und weniger als zwei Wochen vor dem entscheidenden Gipfeltreffen in Berlin.

Die liberale polnische Tageszeitung Gazeta Wyborcza kommentierte: "Das ist eine Sensation großen Ausmaßes.Kaum viereinhalb Monate nach der ersehnten Machtübernahme sind die deutschen Sozialdemokraten in der Auflösung begriffen." Nach Meinung des Blattes waren Kanzler Schröder und der SPD-Vorsitzende "nicht aus dem gleichen Lehm geformt".Der "Pragmatiker und Genosse der Bosse" habe nicht zu dem "von der Idee sozialer Gerechtigkeit beherrschten Dogmatiker" gepaßt.Lafontaine habe "Europa und Amerika mit seinen Ideen geschreckt", meint das polnische Blatt.

Die konservative Rzeczpospolita spekuliert, daß Schröder sich der Springer-Presse bedient habe, um sich des Finanzministers zu entledigen.Die hätten die Rücktrittsdrohung Schröders lanciert.In Wirklichkeit sei es - wie sich nun gezeigt habe - keineswegs um den Rücktritt des Kanzlers gegangen.

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