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Politik: Ein Milliardenspiel - Ohne Fortsetzung der Förderung ist die Rückständigkeit so schnell nicht aufzuholen

Seit April vorigen Jahres, als die Ost-Ministerpräsidenten die Gutachten bestellten, ist in den fünf beteiligten Wirtschaftsforschungsinstituten hin- und hergerechnet worden. Die Aufgabenstellung: Herauszufinden, welchen Nachholbedarf bei der Infrastruktur und der Wirtschaft die ostdeutschen Länder voraussichtlich noch nach 2004 haben werden, wenn der bisherige Solidarpakt ausläuft.

Seit April vorigen Jahres, als die Ost-Ministerpräsidenten die Gutachten bestellten, ist in den fünf beteiligten Wirtschaftsforschungsinstituten hin- und hergerechnet worden. Die Aufgabenstellung: Herauszufinden, welchen Nachholbedarf bei der Infrastruktur und der Wirtschaft die ostdeutschen Länder voraussichtlich noch nach 2004 haben werden, wenn der bisherige Solidarpakt ausläuft. Bis Ende 2002 muss, wegen der Planungssicherheit für die Finanzminister und weil das Bundesverfassungsgericht eine Neuordnung des Finanzausgleichs angemahnt hat, ein neuer Solidarpakt verhandelt werden. Ansprechpartner ist vor allem der Bund, daneben sind die West-Länder gefragt. "Methodische Schwierigkeiten", wie es heißt, wohl aber auch politische Abstimmungen haben dazu geführt, dass die für Herbst angekündigten Gutachten erst jetzt vorliegen.

Das Bild, das sich aus den Berechnungen ergibt, ist zweischneidig. Einerseits haben die Wirtschaftsforscher errechnet, dass sich die teilungsbedingte Lücke bei der öffentlichen Infrastruktur - Straßen, Gebäude, Wasserversorgung, Abwasserentsorgung, Schulen und so weiter - seit 1991 halbiert hat. Andererseits bleibt noch eine riesige Summe der Rückständigkeit - und Uneinigkeit der Institute. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aus Berlin schätzt, dass trotz der Milliardenförderung seit 1990 im Jahr 2005 noch eine "Infrastrukturlücke" von 280 Milliarden Mark bestehen werde. Nimmt man nur die ärmeren West-Länder, bliebe eine Lücke von 250 Milliarden Mark. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) aus Essen kommt zu noch höheren Summen, allerdings ohne Einbeziehung West-Berlins: Bei dem von der Bundesregierung für Ostdeutschland angenommenen Wirtschaftswachstum von 2,5 Prozent im Schnitt der Jahre 1998 bis 2005 ergibt sich danach eine Lücke von 220 bis 375 Milliarden Mark. Beide Institute nehmen an, dass bis 2005 ungefähr 70 Prozent des West-Niveaus erreicht sein werden. Das DIW geht davon aus, dass unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen auch im Jahr 2017 noch eine immense Lücke bestehen wird; das RWI meint, eine Angleichung sei unter den gegenwärtigen Finanzverhältnissen nicht vor 2030 zu erreichen.

Das Fazit der sächsischen Staatskanzlei, welche die Federführung für die Verhandlungen hat: Soll die für das Jahr 2005 festgestellte Lücke bis 2015 geschlossen werden (zehn Jahre wird der neue Solidarpakt wohl laufen), müsste das bisherige Förderniveau aufgestockt werden. Soll die Lücke deutlich verringert werden, müssten die Zuwendungen des Bundes (Ergänzungszuweisungen, Investitionsförderung Aufbau Ost und weitere Finanzierungsprogramme des Bundes) beibehalten werden. Pro Jahr sollten daher 18 bis 21 Milliarden Mark bereitgestellt werden. Dazu kommt die Forderung nach weiteren 10 Milliarden Mark im Jahr an direkten Investitionszuschüssen für Betriebe, da die ostdeutsche Wirtschaft nach wie vor rückständig ist. Das Institut für Wirtschaftsforschung in Halle (IWH) hat eine "Ausstattungslücke" der ostdeutschen Wirtschaft in Höhe von 260 Milliarden Mark errechnet. Wegen der Arbeitsmarktlage schließt sich die Forderung an, dass die "arbeitsmarktpolitischen Instrumente" weiter auf hohem Niveau fortgeführt werden.

Bedenklich ist nach Ansicht der ostdeutschen Regierungen vor allem die Finanzsituation der Kommunen zwischen Rügen und dem Erzgebirge. Deren Steuereinnahmen hinken gewaltig hinterher: Bezogen auf die Summe je Einwohner machen sie nur knapp 40 Prozent des West-Niveaus aus. Selbst für Berlin liegt diese Zahl nur bei 50 Prozent. Entsprechend lehnen die ostdeutschen Länder es ab, dass die Ausgleichsleistungen, die zu Gunsten der Kommunen fließen, ab 2004 reduziert werden.

Den Forderungen nach Kürzungen, die aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen laut geworden waren, die aber auch beim Bund zu hören sind, haben die Ost-Länder ein zusätzliches Gutachten entgegengestellt: Das IWH kommt darin zum Schluss, dass bei einem Abbau der gesamten Sonderförderung des Ostens um 18 Milliarden Mark pro Jahr dauerhafte Einkommensverluste der ostdeutschen Länder die Folge wären. Zwar ergäben sich durch die Einsparungen in den öffentlichen Haushalten auch positive Wirkungen, doch insgesamt, so das IWH, wären die Folgen für Produktion und Beschäftigung im Osten - in den Worten der Wissenschaftler - "erheblich kontraktiv". Will heißen: Mehr Arbeitslose, weniger Wachstum. Und damit höhere Kosten für die Politik.

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