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Tuberquia

© Thilo Rückeis

Kolumbien: Ein Ort des Friedens

Wie das Dorf San José in Kolumbien versucht, den oft grausamen Alltag im Land zu meistern. Ein Vertreter der Dorfes ist gerade in Deutschland zu Gast.

Vier Mal haben sie versucht, ihn umzubringen. Sie haben sein Land verwüstet, sein Haus niedergebrannt, auf ihn geschossen. Es waren staatliche Sicherheitskräfte, ultrarechte Paramilitärs, einmal auch die Guerilla. „Es ist nicht einfach, mich umzubringen“, sagt Jesús Emilio Tuberquia. „Aber irgendwann wird das Ende für mich kommen.“

Der 45 Jahre alte Tuberquia, der momentan auf Einladung von Amnesty International in Deutschland ist, vertritt die Friedensgemeinde San José de Apartadó im Nordwesten Kolumbiens. Das Dorf mit knapp 3000 Einwohnern, die meisten davon Bauern, liegt in einer hart umkämpften Region: Urabá ist reich an Bodenschätzen wie Kohle, Gold und Öl, hat eine Grenze zu Panama und direkten Zugang zum Meer, was unter anderem für den Schmuggel von Kokain von Bedeutung ist. Seit mehr als 40 Jahren wird die Region im bewaffneten Konflikt von rivalisierenden Akteuren aufgerieben. Vertreibungen, Vergewaltigungen und Massaker führen dazu, dass die ländliche Zivilbevölkerung im permanenten Ausnahmezustand lebt.

Tuberquia ist im Konflikt aufgewachsen – und er war dabei, als seine Gemeinde die Flucht nach vorn antrat. 1997 taten sich mehr als 1300 Dorfbewohner zusammen und erklärten San José zur Friedensgemeinde. Die Prinzipien: Keine der Konfliktparteien wird unterstützt, der Widerstand gegen den Krieg bleibt gewaltlos. Waffen in der Gemeinde sind so wenig erlaubt wie Alkohol oder Drogen. „Wir wollen respektiert und nicht in den Konflikt hineingezogen werden“, sagt Tuberquia. Dieser Respekt jedoch wird ihnen noch immer nicht entgegengebracht.

Tuberquia ist ein kleiner Mann, er trägt Schnurrbart, einen braun-weiß gemusterten Hut und ein weißes T-Shirt, auf dem „Wir vergessen sie nicht“ steht. Sie, das sind mehr als 200 Tote, die es seit Gründung der Friedensgemeinde gab, darunter auch Kinder, die aufgeschlitzt und zerstückelt wurden. In rund 170 Fällen, sagt Tuberquia, sei die Beteiligung von Paramilitärs nachweisbar. Obwohl diese noch immer häufig als verlängerter Arm des Militärs operieren, bestreitet die rechtskonservative Regierung unter Juan Manuel Santos jede Verantwortung.

Ob die Situation besser geworden ist, seitdem San José Friedensdorf ist? Davon könne angesichts des Todes von so vielen Menschen nicht die Rede sein, sagt Tuberquia. Aber es gebe keine Alternative: Mit dem Gedanken, die Region zu verlassen, habe er nie gespielt. „Ins Exil zu gehen, würde bedeuten, die Situation zu legitimieren. Aber wir wollen hier in Frieden leben, und wir wollen Gerechtigkeit.“ Zwei ferne Ziele: Auch dieses Jahr wurden wieder Menschen in San José umgebracht. In Kolumbien jedoch werden nur drei Prozent auch der schwersten Menschenrechtsverbrechen bestraft.

Seit sieben Wochen ist Tuberquia in Europa unterwegs. Auf Einladung von Amnesty war er in Italien, der Schweiz, Frankreich und Deutschland. Er, der nie eine Schule besucht hat, hält Vorträge an Universitäten und trifft sich mit Vertretern von Stiftungen und Regierungen. Sehr diplomatisch seien die, sagt er. Konkretes habe er kaum gehört bisher. Aber auch Europa, sagt Tuberquia, trage Verantwortung. Bald soll etwa ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kolumbien ratifiziert werden. „Damit wird es schlimmer“, sagt Tuberquia, er erwarte mehr Morde und Vertreibungen, aber er werde weiter dagegen kämpfen. „Vielleicht lebe ich nicht mehr lange“, sagt er. „Aber wenigstens werde ich in Würde sterben.“

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