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Politik: Ein Ruck muss durch Rau gehen (Kommentar)

Johannes Rau ist in Schwierigkeiten. Weil er flog und weil er schweigt.

Johannes Rau ist in Schwierigkeiten. Weil er flog und weil er schweigt. Für das eine kann er nichts, wirklich nicht. Die Flugaffäre, die ihm nun angehängt wird, wäre kaum der Rede wert, wenn das Land sich nicht im Affärentaumel befände. Rau ist zu zwei Feiern geflogen, einer privaten zum befreundeten Arzt. Dort ist er nur mitgeflogen. Und zu einem, gewissermaßen, politischen Geburtstag von Helmut Schmidt in London. Von dort aus ging es zurück - in den Urlaub. Na und? Hätte Johannes Rau erst nach Düsseldorf fliegen sollen und dann weiter mit einem selbstbezahlten Flug in den Urlaub? Vielleicht. Jedenfalls kann ein so lässlich-läppisches Vergehen kein Grund für einen Rücktritt sein.

Allerdings: Er ist auch deshalb in Schwierigkeiten, weil man sich angesichts der "Affäre" unwillkürlich fragt, wozu er dieses Amt eigentlich innehat. Der Bundespräsident wurde den Deutschen von den Vätern des Grundgesetzes gegeben, damit da einer sei, der integriert und die moralisch-politische Oberaufsicht behält über ein gefährdetes Volk. Fünfzig Jahre später brauchen die Deutschen keinen väterlichen Aufseher mehr. Der letzte Bundespräsident dieser Art war Richard von Weizsäcker. Er beantwortete 1985 unsere letzte große Identitätsfrage höchstrichterlich: Die Deutschen können nur frei sein, wenn sie sich an Auschwitz erinnern. Seitdem das geklärt ist, brauchen wir einen Bundespräsidenten nicht mehr so dringend.

Das muss nicht heißen, dass man das Amt abschafft, aber es bedeutet: Jeder Bundespräsident muss sich eine Aufgabe suchen, mit der er sich nützlich machen kann. Roman Herzog hat das getan, indem er den Reformstau im Lande anprangerte. Rau hat das bislang nicht getan. Dabei hätte er im letzten Jahr durchaus Gelegenheit gehabt, sich einzumischen. Als die lehrlingshaft agierende rot-grüne Regierung ihre Politik aufs Sparen ausrichtete, verlor sie eine Wahl nach der anderen, während die Opposition sich populistisch in Erfolge hineinflüchtete. Unter der Überschrift "Gerechtigkeit" schürzte sich der Reformknoten erneut. Und was tat der Bundespräsident? Hielt er eine Grundsatzrede zum Thema Gerechtigkeit?

Nun hätte Rau eine zweite Gelegenheit, sich verdient zu machen. Die Spendenaffäre irritiert das ansonsten so emanzipierte Volk immerhin so sehr, dass das rechte Wort eines Bundespräsidenten sehr beachtet werden würde. Und was kam bisher? Fast nichts. Wegen der beiden Geburtstagsflüge? Er fühle sich nicht frei, so ließ Rau sich vernehmen, den Unterschied zwischen der SPD-Affäre, die gar keine sei, und der CDU-Affäre klar zu benennen, weil man ihn persönlich verunglimpfe, worüber er Bitterkeit verspüre.

Rau meint, er sei Bundespräsident geworden wegen seiner hervorragenden Verdienste. Man wird aber heute nicht mehr unbedingt Bundespräsident, weil man dies oder jenes gemacht hat, sondern weil man dies oder jenes vorhat. Dabei wäre es für Rau durchaus möglich, zur Affäre und zur "Affäre" eine wirklich große Rede zu halten. Er könnte sagen, dass seine Flüge nur deswegen solches Aufsehen erregen, weil alle Welt sie für einen Teil von etwas hält, für einen Ausdruck des NRW-Filzes. Sodann könnte Rau sagen, dass er Teil dieser Filzes wurde. Er habe dabei zwar nicht gegen Gesetze verstoßen, aber diese politische Praxis habe sich überlebt. Und erst dann vermöchte er den Unterschied zwischen dem Falschen in NRW und dem Fatalen bei der CDU zu erklären.

Der Bundespräsident könnte so einen Ruck durch die deutsche Politik auslösen. Das könnte, genauer gesagt, niemand besser als er. Wenn Johannes Rau die Freiheit und Größe zu einem Gran Selbstkritik hat, dann wird er bald so sprechen. Wenn nicht, dann sollte er ganz und gar schweigen. Ob im Schloss Bellevue oder zu Hause in Wuppertal, das ist dann auch einerlei.

Markus Huber

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