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Politik: Ein Schritt zur Unabhängigkeit?

Taiwan schafft den Wiedervereinigungsrat ab / Peking reagiert mit Protest, droht aber nicht mit Krieg

Mit den Worten „Provokation“ und „Desaster“ haben Chinas Staatsmedien auf die Entscheidung des taiwanesischen Präsidenten Chen Shui-bian reagiert, den Nationalen Rat zur Wiedervereinigung aufzulösen. Dies sei ein erster Schritt in eine formelle Unabhängigkeitserklärung, hieß es bei der staatlichen Nachrichtenagentur Xinhua. Im Gegensatz zu früheren Taiwan-Krisen verzichtete Peking jedoch auf Kriegsdrohungen.

„Chen Shui-bians riskante und provokative Taten drohen, den Frieden und die Stabilität in der asiatisch-pazifischen Region zu zerstören“, kommentierte die englischsprachige Zeitung „China Daily“. Das Taiwan-Büro der Kommunistischen Partei (KP) warnte, dieses Vorgehen werde ein „Desaster“ zur Folge haben. Zugleich wurde jedoch betont, dass Peking sich weiter um eine friedliche Lösung des Taiwankonflikts bemühe.

Chen Shui-bian hatte am Montag in einem symbolischen Schritt den Nationalen Rat und die Richtlinien zur Wiedervereinigung mit dem Festland aufgelöst. Das 1990 gegründete Gremium hatte seit Chens Amtsantritt im Jahr 2000 nicht mehr getagt. Taiwan und die Volksrepublik China sind seit dem Ende des Bürgerkrieges 1949 faktisch zwei getrennte Staaten. Pekings KP-Führer, die Taiwan bis heute als abtrünnige Provinz ansehen, befürchten jedoch, dass Chen mit diesen Schritten die formale Unabhängigkeit des Inselstaates anstrebt. China droht in diesem Fall mit Krieg. Auch die USA hatten Chen davor gewarnt, den Status quo zwischen China und Taiwan zu verändern.

Die Taiwan-Büros der KP und des Staatsrates warfen Chen zudem in einer gemeinsamen Erklärung ein „Spiel mit Worten“ vor. Offenbar auf Druck der USA hatte Chen in seiner Erklärung am Montag nicht von einer „Abschaffung“ des Rates gesprochen, sondern von einer „Unterbrechung der Funktion“. Der Sprecher des US-Außenministeriums erklärte daraufhin, dass der Rat nicht eingestellt, sondern nur „eingefroren“ sei. China bezeichnete das als Täuschungsmanöver.

Chens Vorgehen setzt Peking nun unter Entscheidungszwang. Vor einem Jahr hatte Chinas KP-Führer auf dem Volkskongress ein umstrittenes Anti-Abspaltungsgesetz beschlossen, wonach Taiwan auch mit „nicht friedlichen Mitteln“ zu einer Wiedervereinigung gezwungen werden soll. Der demokratisch gewählte Chen hat nun gezeigt, dass er sich von Peking nicht einschüchtern lässt. Spätestens auf der am Sonntag beginnenden jährlichen Plenartagung des chinesischen Volkskongresses wird sich zeigen, ob die Zeichen zwischen Peking und Taipeh wieder auf Sturm stehen.

Harald Maass[Peking]

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