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Alexi

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Politik: Ein schwieriges Erbe

Nach dem Tod von Alexi II. streiten Kirche und Politik in Russland um einen passenden Nachfolger. Der Kreml wünscht sich einen weniger widerspenstigen Kirchenfürsten.

Er will die orthodoxe Kirche als oberste moralische Instanz in Russland etablieren. Trotz offizieller Trennung von Staat und Kirche, auch bei politischen Entscheidungen. Vor allem dieser Plan zählte offenbar für den Heiligen Synod, der den 62-jährigen Kyrill am Samstag zum Übergangsnachfolger für den am Freitag verstorbenen Patriarchen Alexi II. wählte. Kyrill, ein belesener Mann und begnadeter Prediger mit ausgeprägtem Sendungsbewusstsein, hielt unmittelbar danach die Totenmesse für Alexi II. in der Moskauer Erlöserkirche.

An wen jedoch der Krummstab des Oberhirten der russisch-orthodoxen Kirche geht, ist damit mitnichten entschieden. Kreml und Regierung missfielen die unabhängige Außenpolitik der Kirche, wie sie Alexi betrieb, ebenso wie seine Einmischungsversuche in die Bildungspolitik. Mindestens gleiche Chancen wie Kyrill, dem Außenstaatssekretär des Patriarchats und Metropolit von Smolensk und Kaliningrad, räumen russische Religionswissenschaftler seinem Erzrivalen ein. Kliment ist momentan im Patriarchat für den Etat, Liegenschaften und andere irdische Dinge zuständig. Bis zu sechs Monate darf sich der Klerus mit der Wahl des Patriarchen Zeit lassen. Kliment gilt als anpassungsfähig und lenkbar und erfüllt damit ziemlich exakt die Vorstellungen des Kremls von einem pflegeleichten Kirchenfürsten. Staatsfromme Polittechnologen, die sich schon bei weltlichen Wahlen glänzend bewährt haben, dürften daher auch die geistliche Nachfolgeregelung im Sinne des Kremls beeinflussen.

Denn der will auch die kirchliche Außenpolitik in die Neugestaltung des Imperiums einspannen: Der Einfluss des Patriarchen von Konstantinopel, dem die Christen auf dem Balkan anhängen, soll zurückgedrängt und die ukrainische Kirche Moskau wieder unterstellt werden. Auch soll der Klerus dafür sorgen, dass die weltweite Finanzkrise und ihre Auswirkungen in Russland keine sozialen Unruhen zur Folge haben. Der neue Patriarch müsste derartigen Herausforderungen gewachsen sein.

Pflegeleicht war Alexi II., der erste Mann der Quasi-Staatskirche, für den russischen Staat nie. Beim Machtkampf zwischen Präsident und Parlament, das Boris Jelzin im Herbst 1993 mit Panzern und schwerer Artillerie auflöste, engagierte Alexi sich nicht wie erwartet auf Seiten des Kreml. Vielmehr bestand er auf Verhandlungen, bei denen er und das Verfassungsgericht versuchten, zu vermitteln. Jelzin rächte sich mit Streichung von Steuerprivilegien für die Kirche. Als dieser im April 2007 mit kaiserlichem Gepränge beigesetzt wurde, weigerte Alexi sich standhaft, die Totenmesse zu lesen. Auch mischte er sich trotz Trennung von Staat und Kirche zunehmend in Bildungs- und Erziehungspolitik ein, wetterte gegen Darwins Evolutionstheorie oder Homosexualität und lehnte wegen Missionstätigkeit des Vatikans ein Treffen mit dem Papst ab. Eine bereits von Michail Gorbatschow ausgesprochene Einladung an den Papst zu einem Russlandbesuch mussten spätere Kremlherrscher zähneknirschend zurückziehen.

Der dem Zentrum zurechenbare Alexi, auf den sich Liberale und Konservative nach dem Tode von Amtsvorgänger Pimen 1990 in einem Kompromiss einigten, habe stets zwischen beiden Flügeln lavieren müssen, sagen Religionswissenschaftler wie Boris Falikow. Alexi habe zwar den Fundamentalismus verhindern können, zu dem der niedere Klerus und die Massen nach fast 80 Jahren staatlich verordnetem Atheismus tendierten. Dafür habe er jedoch die Liberalen disziplinieren müssen, die auf Reformen und Aufarbeitung der KGB-Verstrickungen drängten. Zum bloßen Erfüllungsgehilfen weltlicher Macht ließ er sich nie degradieren. Kreml und Regierung dürften daher bei der Wahl des Nachfolgers alles daran setzen, dem aus ihrer Sicht günstigeren Kandidaten auf den Stuhl des Patriarchen zu verhelfen.

Leicht dürfte das nicht werden. Nicht, nachdem sich nun bei der Wahl des Übergangspatriarchen Kyrill durchsetzte. Statt auf den Querdenker setzt der Kreml daher auf dessen Erzrivalen, den konfliktscheuen Kliment. Mit ihm, so glauben russische Medien, würden auch die Chancen für ein Treffen mit Papst Benedikt XVI. im Herbst 2009 am Rande des Weltkirchengipfels in Aserbaidschan steigen. Bei der Wahl des neuen Patriarchen rechnen Beobachter daher mit einer Kampfabstimmung, zu deren Ausgang gegenwärtig niemand Prognosen wagt.

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