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Politik: Ein solcher Unfall wie in Japan kann in Deutschland nicht passieren, weil die Anlagen automatisiert sind - sagen die Experten

Durch den Unfall in der japanischen Uranverarbeitungsanlage Tokaimura sehen sich Atomkraft-Gegner auch in Deutschland bestätigt. Doch kann das, was in Japan geschehen ist, auch in Deutschland passieren?

Durch den Unfall in der japanischen Uranverarbeitungsanlage Tokaimura sehen sich Atomkraft-Gegner auch in Deutschland bestätigt. Doch kann das, was in Japan geschehen ist, auch in Deutschland passieren? "Nein", sagt Klaus Heinloth, Professor am Physikalischen Institut Bonn und Mitglied mehrerer Enquête-Kommissionen des Bundestages zum Schutz der Erdatmosphäre. Heinloth ist vor allem unklar, weshalb die dortigen Techniker mit so hoch angereichertem Uran 235 umgegangen sind.

Wie berichtet, war der Unfall in einem Behälter entstanden, der mit Uran gefüllt war. Das radioaktive Uran-Isotop 235 war in der Substanz zu 19 Prozent enthalten (Anreicherungsgrad). Uran 235 ist ein so genannter Alpha-Strahler, das heißt, er sendet bei seinem Zerfall Neutronen (und Protonen) sowie energiereiche Gamma-Strahlung aus. Stößt ein so freigewordenes Neutron auf einen anderen (noch kompletten) Urankern, regt er dessen Zerfall an. Da bei jedem dieser Zerfälle drei Neutronen frei werden, kann ein strahlendes Uran-Atom bis zu drei andere zerlegen.

Wie viele "Treffer" die Neutronen erzielen, das hängt von der Menge und der Konzentration ab, in der die Atome gepackt sind - wird eine "überkritische Masse" erreicht, dann läuft die Reaktion selbsttätig ab. In Reaktoren werden die überzähligen Neutronen weggefangen, so dass es bei einem definierten Ablauf bleibt. Geschieht dies nicht, ergibt sich eine unkontrollierte, explosionsartige Reaktionskette, die immer stärker wird, bis alle Kerne zerlegt oder weit genug voneinander entfernt sind.

Eben dies ist in Tokaimura offenbar deshalb geschehen, weil die Techniker vermutlich gar nicht wussten, dass die Substanz einen Anreicherungsgrad von 19 Prozent erreicht hatte. Den spärlichen Informationen zufolge haben auch sie es sonst nur mit drei bis fünf Prozent Uran 235 zu tun. Jedenfalls füllten sie 16 Kilo Uran in den Behälter, wo es eigentlich nur 2,4 Kilo hätten sein dürfen - und vermutlich war das Material überdies auch noch höher angereichert.

Ein solcher Unfall kann in Kernkraftwerken nicht geschehen, weil dort nur fertig konfektionierte Brennelemente angeliefert werden (mit einem Anreicherungsgrad unter fünf Prozent). In der japanischen Forschungsanlage wurde das spaltbare Material überdies per Hand verfüllt, darin unterscheidet sie sich von den (auch in Deutschland üblichen) Anlagen zur Herstellung von Brennelementen im niedersächsischen Lingen. Heinloth betont: "Solche Anlagen müssen automatisch arbeiten, Menschen dürfen in die Prozesse per Hand gar nicht eingreifen." Und falls doch? "Dann muss die Anlage selbsttätig in einen sicheren Zustand fahren", sagt Heinloth. Die Steuerungsprogramme kerntechnischer Anlagen müssen die an vielen Stellen mehrfach erfassten Daten permanent auf Plausibilität prüfen. Sobald Messdaten auftreten oder Anweisungen gegeben werden, die nicht stimmen können, muss die Anlage von allein abschalten.

Aber was ist mit womöglich ähnlichen Forschungseinrichtungen in Deutschland? "Die gehen gar nicht mit den Mengen und den Anreicherungsgraden um, die derart gefährlich werden könnten", erklärt der Bonner Physiker.

Bleibt noch der Risikofaktor Mensch. Er scheint auch in diesem Fall wieder der gefährlichste zu sein. Schon die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war dadurch ausgelöst worden, dass eine ohnehin riskante Technik von den Betriebsingenieuren unter Abschaltung aller Sicherheitsvorkehrungen in einen Grenzzustand gebracht worden war - aus dem keine sichere Rückkehr mehr möglich war. Und in deutschen Anlagen? "Hier müsste ein Verrückter schon an den Rohren sägen, um einen ähnlichen Schaden zu provozieren" - davon jedenfalls ist Heinloth überzeugt.

Bleibt noch die Frage, weshalb der Unfall-Bereich in Tokaimura noch weitere 20 Stunden lang vor sich hin brodeln konnte. Kurt Kugeler, Professor am Institut für Sicherheitsforschung und Reaktortechnik am Forschungszentrum Jülich erklärt: "Der Mischbehälter besitzt einen Kühlmantel, der von Wasser durchflossen ist. Die Neutronen, die den Stahl ohne Weiteres durchfliegen, werden vom Wasser zurückgeworfen, wieder dort hin, wo weitere Uran-Atome auf den Anstoss zum Zerfall warten . . ."

Als das Wasser endlich abgelassen wurde, kamen auch die Reaktionen zum Stillstand, weil die Neutronen nun aus dem Behälter hinaus gelangten, und damit ungefährlich für weitere Kettenreaktionen waren.

Gideon Heimann

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