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Politik: Ein Stadtteil im Ausnahmezustand

Nach dem Fund von Polonium-Spuren in Hamburg / Behörden: Gefahr für die Bürger besteht nicht

Die Stimmung in Hamburg ist angespannt. Der Fall des an der Strahlenkrankheit verstorbenen russischen Ex-Agenten Alexander Litwinenko hat die Hansestadt erreicht – und sorgt für viel Verunsicherung. Die Nachbarn der untersuchten Wohnung des Russen Dmitri Kowtun (41), einem Kontaktmann Litwinenkos, in der Spuren des hochgiftigen Polonium 210 gefunden wurden, mussten das Haus im Hamburger Stadtteil Ottensen vorübergehend verlassen. Die Wohnung des Russen und die seiner Ex-Frau wurde versiegelt, ebenso wie ein Anwesen im Landkreis Pinneberg, in dem die Ex-Schwiegermutter Kowtuns lebt, eine Hamburger Psychotherapeutin. Offenbar wurde in der Wohnung des Russen im Erdgeschoss nichts gefunden – in der Wohnung der Exfrau im ersten Stock habe der Geigerzähler dann allerdings ausgeschlagen, hieß es. Möglicherweise lagerte hier auch etwas von der strahlenden Substanz.

Die Sonntagszeitungen titelten gestern „Todesstrahlen in Hamburg“ oder „Die Spur des Strahlengifts“. Aufgewühlt reagieren deshalb viele Hamburger – besonders in dem betroffenen Stadtteil, in dem seit Freitagabend Ausnahmezustand herrscht: Das Straßenbild war vorübergehend geprägt von Journalisten aus aller Welt, Fotografen, Kameraleute, zahlreiche Polizisten, sowie Experten von Bundespolizei, Bundeskriminalamt und vom Bundesamt für Strahlenschutz, die in Limousinen mit getönten Scheiben vorfahren und die Brisanz des Falles offensichtlich machen.

Das „Hamburger Abendblatt“ erzählt die Geschichte von Ralf Wiegandt (37), einem Untermieter Kowtuns in einer Wohnung im oberen Stockwerk in der Erzbergerstraße 4. Im Juli vergangenen Jahres habe er eine Annonce in der Uni gelesen: „Wohnung unterzuvermieten". Der Eigentümer war ein Hartmut K. Er soll der Lebensgefährte der Ex-Schwiegermutter Kowtuns sein. Als Hauptmieter war Kowtun im Untermietvertrag angegeben. „Ich habe Kowtun nie gesehen, habe nur vom Makler den fertig unterschriebenen Vertrag zugeschickt bekommen“, wird der Mann zitiert.

Vor Ort stellten Strahlenspezialisten nun so genannte Dekontaminierungszelte auf. Darin können sich Ermittler, sollten sie wider Erwarten einer größeren Strahlung ausgesetzt sein, einer Reinigung unterziehen. Ob auch die Hausbewohner aus der Erzbergerstraße dort behandelt werden sollten, ist noch unklar. „Der Fein-Scan kann zwei Tage dauern“, sagte Polizeisprecherin Ulrike Sweden. Erst dann seien Art und Intensität der Strahlung exakt nachweisbar. Sicher war aber schon am Sonnabend, dass, so Sweden, „keine Strahlungsquelle mehr vorhanden ist“. Sprich: Polonium ist nicht in den Objekten gefunden worden, wohl aber Spuren, die das Material hinterlässt, wenn es gelagert wurde.

Die Hamburger Polizei hat ein Bürgertelefon eingerichtet. Alle Personen, die in letzter Zeit Kontakt zu Kowtun hatten, wurden gebeten, sich zu melden. Zudem wurden alle Menschen, die Kontakt zur Ex-Frau Kowtuns hatten, zur Abgabe einer Urinprobe aufgerufen. Die Behörden wiesen darauf hin, dass Polonium 210 eine schwach strahlende Substanz sei, die außerhalb eines Radius von 3,8 Zentimetern keine Wirkung entfalte. Es gehe von den gefundenen radioaktiven Spuren keine unmittelbare Gefahr aus. Gefährlich sei nur die Einnahme der Substanz oder direkter Kontakt mit offenen Wunden.

Antje Lückingsmeier[Hamburg]

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