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Politik: Ein Virus legt die Minen still

In manchen Branchen Südafrikas ist ein Drittel der Belegschaft mit Aids infiziert

Von Wolfgang Drechsler,

Kapstadt

Das schwarze Krokodil mit dem aufgesperrten Rachen ist nicht zu übersehen. Eindringlich warnt der Aufkleber die Arbeiter in der Daimler-Chrysler-Autofabrik im südafrikanischen East London vor möglichen Gefahren am Arbeitsplatz. Doch für ein viel größeres Gesundheitsrisiko gibt es bislang keinen Sticker: das HI-Virus, das Aids verursacht. Dabei werden in der Krankenstation des Autokonzerns bereits jetzt mehr Angestellte wegen der tödlichen Immunschwächekrankheit als wegen eines Unfalls am Arbeitsplatz behandelt.

Wie bei Daimler-Chrysler beeinträchtigt die Aidsepidemie auch in vielen anderen Unternehmen am Kap allmählich den geregelten Produktionsablauf. Manche Branchen, vor allem der Bergbau, müssen im schlimmsten Fall damit rechnen, dass in wenigen Jahren rund ein Drittel ihrer Belegschaft an Aids stirbt. Anglogold, der weltweit zweitgrößte Goldförderer, schätzt, dass bereits jetzt fast ein Drittel seiner Minenarbeiter mit dem tödlichen Virus infiziert ist. Wirtschaftszweige wie der Bankensektor mit besser geschultem Personal sind weniger stark betroffen. Hier soll die Infektionsrate unter zehn Prozent liegen.

Einige Unternehmenschefs sehen in der Aidsepidemie angesichts der düsteren Szenarien inzwischen das größte Investitionshindernis der Kaprepublik. Im Gegensatz zu einer ganzen Reihe kleinerer einheimischer Betriebe, die das Problem noch immer ignorieren, haben die drei großen deutschen Autobauer Daimler-Chrysler, BMW und VW inzwischen eigene Aidsprojekte angeschoben. Sie regeln zumeist die freie Ausgabe von Aids- Medikamenten an die Angestellten des Unternehmens und deren Angehörige. Daneben werden Aufklärungskampagnen finanziert und Arbeiter zu Aidsberatern geschult.

Südafrika ist nicht die einzige Nation mit einem Aidsproblem, doch ist das Land weltweit das einzige, in dem eine stärker industrialisierte Wirtschaft unter einer Plage solchen Ausmaßes leidet. Seine Manager können deshalb auch nur begrenzt aus Erfahrungen anderer Länder lernen. Rund 5,3 Millionen Südafrikaner oder 20 Prozent der sexuell aktiven Bevölkerung sind bereits infiziert.

Schlimmer noch: Südafrikas Firmen haben lange Zeit fast keine Hilfe von der Regierung erhalten. Inzwischen hat sich der regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) nach Jahren der Untätigkeit zu einer Neuausrichtung seiner Aidspolitik durchgerungen und die Gratisausgabe von Medikamenten durch den staatlichen Gesundheitsdienst beschlossen. Seit Monatsbeginn werden diese nun in zwei der neun südafrikanischen Provinzen an Aidskranke verteilt, die sich keine Krankenversicherung leisten können. Das südafrikanische Finanzministerium schätzt, dass Aids das Land pro Jahr mindestens ein halbes Prozent Wirtschaftswachstum kostet.

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