zum Hauptinhalt

Politik: Ein Wall gegen die Fremdheit

In einer kleinen tschechischen Stadt fühlen sich elf Einheimische von 150 Roma gestört. Nun wird dort eine Mauer gebaut - das Vorhaben erregt international AufsehenTomas Niederberghaus Er sagt, dass er kein Rassist ist.

In einer kleinen tschechischen Stadt fühlen sich elf Einheimische von 150 Roma gestört. Nun wird dort eine Mauer gebaut - das Vorhaben erregt international AufsehenTomas Niederberghaus

Er sagt, dass er kein Rassist ist. Und dass er das alles auch gemacht hätte, wenn die da drüben keine Roma wären. Er sagt, dass sie ständig Krawall machen, das bringt ihn um den Schlaf. Sie trinken Alkohol auf der Straße, und "schauen Sie", sagt er, da vorne am Bürgersteig liegt eine Spritze, sicher nehmen sie auch Drogen. Und dann sagt er, dass sie nicht arbeiten und den Staat nur Geld kosten. Petr Chladek ist 36 Jahre alt, trägt einen dicken Oberlippenbart, sein Blick ist sanft, fast ängstlich, unter seinem karierten Hemd spannt sich ein kräftiger Körper. Chladek ist Vater von zwei Kindern und wohnt mit zwei weiteren Familien auf der rechten Seite der Maticne Ulice.

Er sagt, dass er kein Tscheche ist. Und dass er von Chladeks Aktion aus dem Fernsehen erfahren hat. Er sagt, dass er als Roma eine andere Kultur hat, und dass er seit Jahren Frührentner ist. Ein Arzt hat sein Magenleiden ignoriert und gemeint, er wolle sich vor der Arbeit drücken; wenige Wochen später landete er mit einem Magendurchbruch auf der Intensivstation eines Krankenhauses. Und dann sagt er, dass Chladek schon mit einem Luftgewehr auf Roma-Kinder losgegangen ist. Jozif Lazko ist 38 Jahre alt, trägt einen Oberlippenbart, sein Blick ist melancholisch, fast traurig, seine Jeans hat Kindergröße und rutscht ihm fast von den Hüften. Lazko ist Vater von zwei Kindern und wohnt mit 38 weiteren Roma-Familien auf der linken Seite der Maticne Ulice.

Die Maticne Ulice ist eine kleine Straße in der nordtschechischen Stadt Usti nad Labem (Aussig). Veraltete Industrieanlagen, Eisenbahnbrücken und der Zoologische Garten trennen sie vom Zentrum. An ihren Enden verlaufen eine Bahntrasse und eine Bundesstraße. Sie ist 100 Meter lang, grau und unspektakulär. Bunt sind nur die Blätter der Bäume. Doch die Maticne ist seit Wochen weltweit so bekannt wie die Rüdesheimer "Drosselgasse". Fast täglich kommen Journalisten. Auch an diesem sonnigen Herbsttag filmt ein japanisches Kamerateam, ein britischer Rundfunkreporter interviewt Anwohner, und zwei schwarze UN-Vertreter holen Informationen über mögliche Menschenrechtsverletzungen ein. In der Maticne herrscht so etwas wie Kleinkrieg. Den elf Tschechen sind die 150 Roma ein Dorn im Auge. Mit Erfolg haben sie beim Stadtbezirksamt erwirkt, dass im Oktober eine 63 Meter lange Mauer gebaut wird. Zuerst sollte sie vier Meter hoch werden, durch zunehmende Proteste von Menschenrechtsorganisationen sank die Höhe auf 1,80 Meter.

Man könnte diese Mauer als ein Symbol der Fremdenfeindlichkeit betrachten, aber sie zeigt nicht mehr als die sozialen Differenzen zwischen zwei Bevölkerungsgruppen. Drei der 150 Roma sind beschäftigt, der Rest ist arbeitslos, verbringt den Tag im Freien. Bis spät in die Nacht hocken Männer auf Bänken und trinken Bier, während aus einem Getto-Blaster Musik dröhnt. Kinder spielen Fangen. Autos fahren vor, Türen knallen. Wer hier wohnt, muss das Recht haben, sich durch die Lautstärke gestört zu fühlen. Die Diskussion aber hat längst jede Sachlichkeit verloren, wenn sie sie denn jemals gehabt hat. Chladek zeigt auf die "schmutzigen Häuser" der Roma. Nimmt man jedoch eine andere Perspektive ein, dann schaut man auf grau verputzte, verrußte Reihenhäuser, in denen die Tschechen wohnen. Dieser Anblick ist nicht schöner.

Die tschechischen Medien schüren das gereizte Klima in der Bevölkerung. "Sie bekommen Sozialhilfe am Freitag und noch mehr Kindergeld am Montag. Heute ist Donnerstag. Das Leben ist schön", heißt es in einem Beitrag über die Maticne Ulice in der "Pravo", dem ehemaligen Zentralorgan der Kommunisten. Und eine Anwohnerin wird mit den Worten "Roma-Kinder beißen" zitiert. Ihr Sohn könne zum Nachhilfeunterricht nicht an den Roma-Häusern vorbeilaufen, sondern müsse die drei Wohnblocks mit öffentlichen Verkehrsmitteln umfahren. Sicher ist sicher. Enttäuscht sei sie darüber, dass Petr Uhl - der Leiter der Interministeriellen Kommission für Roma-Angelegenheiten der tschechischen Regierung - bei seinem Besuch in der Maticne nicht mit den Tschechen gesprochen habe. "Er ging mit den Zigeunern in die Kneipe und ließ sich von ihnen sogar das Bier bezahlen."

"Es wird Zeit, dass sich Politiker für das Leben der Minderheiten interessieren. Jahrelang hat man das Thema vermieden", sagt Vaclav Trojan von der "Helsinki Citizen Assembly", einer NGO (Non Govermental Organization), die sich auch mit Roma-Fragen beschäftigt. Roma seien "ernsthaft in Schwierigkeiten". Insgesamt leben etwa 300 000 Angehörige der ungeliebten Volksgruppe in Tschechien. Die meisten von ihnen kamen nach dem Holocaust, wurden von den Kommunisten in verplombten Bahnwaggons aus dem slowakischen in den tschechischen Landesteil gekarrt, vornehmlich nach Nordböhmen. Ihre Sozialstruktur sollte zerstört werden.

Als billige Tagelöhner halfen die Roma, Industriestädte wie Teplice, Most und Usti nad Labem aufzubauen. Bis zur Samtenen Revolution war die Region als Giftküche der Tschechoslowakei bekannt, der Himmel schwefelgelb, die Luft so schlecht, dass Kinder im Sommer für vier Wochen in die Hohe Tatra gebracht werden mussten, um einmal richtig durchatmen zu können. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs brach nach und nach die Industrie zusammen. In Usti nad Labem gibt es noch eine Chemiefabrik und am Fuße der Burg Strekov (Schreckenstein) einen Hersteller für Shampoo und andere Kosmetika. Die Emissionswerte sind merklich gefallen, nur manchmal riecht es, als stünde die ganze Bevölkerung zur Kopfwäsche am Ufer der Elbe. Gestiegen sind hingegen die Arbeitslosenzahlen: 13 von 100 Menschen gehen keiner Beschäftigung nach, unter den Roma beträgt die Quote 90 Prozent.

Jozif Lazko ist gut situiert. Er hat fließendes Wasser, Strom und ein Telefon. Er bekommt ein wenig Geld, weil er in den Häusern nach dem Rechten sieht. Andere Roma sitzen bei Kerzenlicht, haben weder Heizung noch Bad, ein paar Duschen sind im Keller. "Die Perspektiven sind aussichtlos", sagt Lazko, "die Leute werden keine Stellen bekommen, sie haben keine Ausbildung, und selbst als Arbeiter ist es schwierig." - "Als Roma hast du keine Chance", wirft seine Frau ein, während sie den Tisch für das Abendessen deckt. Auf der braunen Glasplatte liegen Platzdeckchen. Von der Wand starrt ein röhrender Hirsch, Goldherzen und Plastiktulpen zieren die Ecken, und vom Küchenschrank zwitschert ein Wellensittich in die Runde. Zweimal am Tag wird gekocht. In der Drei-Zimmer-Wohnung der Lazkos wohnen neben den Eltern und den beiden Kindern noch drei weitere Erwachsene.

Als Josif Lazko erfuhr, dass die Stadt für 360 000 tschechische Kronen (rund 50 000 Mark) eine Mauer bauen wird, beschlossen die Roma, eine Petition an Staatspräsident Vaclav Havel zu schicken. Sie wollten ihn bitten, Geld für Flugtickets ins Ausland bereitzustellen. "Ich möchte das Land verlassen", sagt Lazkos Frau. Er selbst ist sich hingegen nicht mehr so sicher. Die Diaspora ist überall, sagt er. Immerhin habe die tschechische Regierung das Staatsbürgerschaftsgesetz geändert. Bis vor zwei Monaten galt Artikel 7, Absatz 1. Demzufolge musste man der tschechischen Sprache in Wort und Schrift mächtig sein, was für die vielen Analphabeten unter den Roma ausgeschlossen war. Ungeachtet dessen können nun diejenigen, die vor 1989 aus der Slowakei in den tschechischen Landesteil kamen, die Staatsbürgerschaft beantragen. Das Interesse daran ist gering.

"Für Roma sind die Behördengänge nicht einfach. Vielen stünde auch Sozialhilfe zu", sagt Petr Uhl, "doch die meisten scheitern schon an den zahlreichen Formularen." Zwölf Roma und zwölf Tschechen gehören zu der Regierungskommission für Roma-Angelegenheiten. Vor wenigen Monaten haben sie einen Situationsbericht verfasst. Die staatlichen Wohnungen seien in einem verheerenden Zustand und ein häufiger Grund für die zahlreichen chronischen Krankheiten unter den Roma, heißt es darin. Für viele sei "Kriminalität oft die einzige Möglichkeit zu überleben". Kriminalität ist ein Problem, mehr im Hinblick auf die Zahl der Delikte als auf die Schadenshöhe. "Das eigentliche Problem ist die unseriöse Berichterstattung in den Medien", sagt Petr Uhl, "es führt zur Diskriminierung der ganzen Volksgruppe."

Seit 1990 kamen bei rassistischen Überfällen 12 Roma ums Leben. Viele Roma reagieren mit Gegenwehr, lassen sich in asiatischen Kampfsportarten ausbilden, schaffen sich Kampfhunde an. Die Maticne Ulice ist da noch ein harmloses Pflaster. Wer dagegen in Usti nad Labems Stadtteil Predlice fährt, kommt in eine Art tschechisches Harlem. Tote Fensteraugen, kaputte Hauseingänge, heruntergekommene Straßenzüge. Hier sind die Roma fast ausschließlich unter sich. Manchmal kommen unliebsame Skinheads zur Stippvisite. "Verschwinden Sie", brüllt ein Mann und ordert seine Kinder zurück. Aber auch Josif Lazko kennt den Besuch der Glatzen. Im letzten Jahr standen sie vor seinem Haus und riefen: "Man sollte Euch vergasen. Beim nächsten Mal wird das Haus brennen." Als seine Tochter vor kurzem mit akuten Zahnschmerzen zum Arzt ging, schickte der Mediziner sie mit dem Hinweis wieder nach Hause: "Sag Deinen Eltern, dass wir keine schwarzen Kinder behandeln."

Gestern klingelte bei der Familie Lazko das Telefon. Am anderen Ende der Leitung meldete sich ein Mitarbeiter der Firma, die die umstrittene Mauer bauen wird. "Guten Tag", hat der Herr gesagt, "wir möchten Sie bitten, den Zaun vor den Häuserblocks abzureißen, damit wir mit dem Mauerbau beginnen können." Jozifs Frau war entsetzt. Dann hat sie den Herrn gefragt, ob er das nicht selber machen kann. Schließlich hat sie gesagt: "Wir werden den Zaun nicht abreißen, sonst wirft man uns nachher noch vor, dass wir ihn verkaufen wollen." © 1999

Tomas Niederberghaus

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false