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Politik: Ein weiter Weg

Die Opposition in Minsk ist schlecht organisiert – sie kann Lukaschenko wohl nicht gefährlich werden

Die Gegner von Weißrussen-Präsident Alexander Lukaschenko, der sich durch umstrittene Wahlen am vorletzten Sonntag für eine dritte Legislaturperiode im Amt bestätigen ließ, stellen sich auf einen „langen und schweren Kampf“ ein. Das erklärte Alexander Milinkewitsch, einer der Oppositionsführer und Gegenkandidat Lukaschenkos, nach neuen Massenprotesten in Minsk, die von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurden.

Nachdem Polizei und Geheimdienste in der Nacht zu Freitag ein Zeltlager von Anhängern der Opposition auf dem zentralen Oktoberplatz mit großer Härte aufgelöst und über 300 Teilnehmer festgenommen hatten, waren Gegner Lukaschenkos am Samstag zu einer weiteren Protestkundgebung zusammengekommen und hatten von Lukaschenko Verhandlungen über Neuwahlen verlangt.

Teile der Protestler versuchten später, das Untersuchungsgefängnis zu stürmen, wo die Masse der am Freitag Verhafteten gegenwärtig interniert ist. Die Polizei stoppte den Zug jedoch, worauf es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen Ordnungskräften und Demonstranten kam. Es gab auf beiden Seiten Leichtverletzte, Dutzende wurden verhaftet – darunter Alexander Kosulin, ein anderer Oppositionsführer, der zum Sturm der Haftanstalt aufgerufen hatte und in der Kolonne mitmarschiert war. Über sein Schicksal und das der anderen Festgenommenen verweigern die Behörden auch Angehörigen gegenüber bisher jede Auskunft. Gerüchte behaupten, Kosulin sei in der Nacht in ein Provinzgefängnis gebracht worden, weil die Arrestzellen in Minsk inzwischen überfüllt sind.

Obwohl die Behörden das Treffen am Samstag nicht genehmigt hatten, waren etwa 7 000 bis 10 000 Menschen den Aufrufen der Opposition gefolgt. Für die Zehn-Millionen-Republik Weißrussland, die Lukaschenko seit zwölf Jahren mit eiserner Faust und bisher ohne nennenswerten Widerstand regiert, ist diese Zahl zwar beachtlich. Aber sie ist weit entfernt von einer kritischen Masse, die ein autoritäres Regime an den Verhandlungstisch zwingen oder gar einen Machtwechsel herbeiführen kann. Selbst in der Anfangsphase der Umstürze in Georgien im November 2003 und in der Ukraine ein Jahr später hatten die Revolutionsführer hundert Mal mehr Menschen hinter sich.

Diese Fakten kann offenbar auch Weißrusslands Milinkewitsch nicht länger verdrängen. Ein neues Protesttreffen gegen Lukaschenkos Wahlfälschungen und sonstige Demokratiedefizite macht nur Sinn, wenn die heterogene Opposition zuvor die Lage nüchtern analysiert und daraus ihre Schlussfolgerungen zieht.

Er selbst, so erklärte Präsident Lukaschenko im russischen Fernsehen, sei 1994 aus der Opposition gekommen und kenne seine Gegner: Es seien Männer mit einem unbefriedigten Drang zur Macht. Ganz falsch liegt er damit nicht. Um die Stimmen der Regimegegner – nach sehr optimistischen Schätzungen machen sie maximal 40 Prozent aus – zankten sich im Vorfeld der Abstimmung gleich drei oppositionelle Politiker. Alle agierten ohne arbeitsfähige Strukturen und ohne schlüssiges Programm. Alle waren schnell dabei, Erfolge für sich zu vereinnahmen, Misserfolge aber der Konkurrenz anzulasten.

Auch über Sinn und Unsinn des Sturms auf die Haftanstalt beharkten sich Kosulin und Milinkewitsch am Samstag öffentlich und spalteten dadurch die Teilnehmer zwangsläufig in zwei Gruppen. Die nun von Milinkewitsch angekündigte Gründung einer „Bewegung für die Befreiung Weißrusslands“ ist daher der erste Schritt in die richtige Richtung. Zumal die Opposition sich aus taktischen Gründen keine größere Verschnaufpause gönnen darf. Zum einen wird die Aufmerksamkeit der westlichen Medien schnell nachlassen, zum anderen hält sich der Polizeistaat Lukaschenkos momentan etwas zurück, weil das Regime von neuen internationalen Sanktionen bedroht ist. Gleich dringend ist für Milinkewitsch und seine Mitstreiter aber auch die Kontaktaufnahme mit Moskau, um dort den Eindruck zu zerstreuen, ein Machtwechsel in Minsk sei gleichbedeutend mit einem Abdriften Weißrusslands Richtung Westen.

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