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Politik: Ein Wunder für Kerry

Vor dem Parteitag der Demokraten: Der Präsidentschaftskandidat muss lernen zu überzeugen

Es ist ein grandioses Ritual. Die Choreografie steht bis ins Detail fest. Alles ist geregelt. Wer darf wann wie lange reden? Selbst für die Inhalte der Reden wurden Vorgaben gemacht. Bitte nicht zu arg auf die Regierung eindreschen, sondern die positiven eigenen Visionen in den Vordergrund stellen! Garniert wird das Ganze mit Luftballons, Konfetti und Musik. Ein Hollywood-Regisseur, empfohlen von Steven Spielberg, hat den Eröffnungsfilm über das Leben von John Kerry gedreht. Stars werden auftreten und Freunde, Kameraden und Parteigenossen. Mindestens 75 Millionen Dollar kostet der viertägige Werberummel für den Herausforderer von Präsident George W. Bush.

Doch der Nominierungsparteitag der Demokraten, der am Montag in Boston beginnt, ist mehr als das. Er könnte die Wahl entscheiden. Für Kerry ist er die letzte Möglichkeit, sich vor den TV-Duellen einen Platz in den Herzen der Amerikaner zu erobern. Erinnerungen werden wach. Ein Parteitagswunder hatte vor zwölf Jahren Bill Clinton in New York vollbracht. In Umfragen lag er weit hinter dem Amtsinhaber George Bush und sogar hinter dem unabhängigen Kandidaten Ross Perot zurück. Dann riss er das Ruder herum. Nach dem Parteitag führte Clinton mit 24 Prozent Abstand zu Bush – und behauptete seinen Vorsprung bis zur Wahl. Kann Kerry daran anknüpfen?

In diesem Jahr heißt das Motto: „Stärker zu Hause, respektiert in der Welt“. Die Worte „stark“, „Stärke“ und „Führungskraft“ werden vom Podium aus hundertfach ausgerufen. In dieser Beziehung hat Kerry im Vergleich zu Bush ein Defizit. Ihre Sicherheit wähnen sie beim Amtsinhaber immer noch besser aufgehoben. Mit „Respekt“ wiederum soll ein programmatischer Kontrapunkt zum Unilateralismus der Regierung gesetzt werden. Ein Amerika, das in der Welt verachtet wird, schwächt sich selbst, sagt Kerry.

Knapp 40 000 Delegierte, Lobbyisten und Journalisten werden erwartet. Aus Terrorangst wird sich Boston in eine Festung verwandelt haben. Der US-Bundespolizei FBI liegen nach eigenen Angaben unbestätigte Informationen über Pläne für einen Anschlag vor. Die Parteitags-Dramaturgie beginnt am Montagabend mit Reden der Ex-Präsidenten Jimmy Carter und Bill Clinton, Ex-Vize Al Gore und der heimlichen Liebe vieler Demokraten, Hillary Clinton. Sie stand zunächst nicht auf der Liste, doch das peinliche Versehen wurde rasch korrigiert. Am Dienstag stehen Kerrys Frau Teresa Heinz, der Ex-Gouverneur von Vermont, Howard Dean, Kerrys politischer Ziehvater Edward Kennedy und – brisant, brisant – Ron Reagan, ein Sohn von Ronald Reagan, auf dem Programm. Der Mittwoch rankt sich um Kerrys Vize, Senator John Edwards. Am Donnerstag dreht sich alles um Kerry. An seinen Auftritt knüpfen alle Kommentatoren nur eine einzige Frage: Hat er es geschafft? Hat er die Amerikaner überzeugen können, einen guten Präsidenten abzugeben? In den Umfragen liegt er mit Bush gleichauf. Seit 1980 – Reagan gegen Carter – ging kein Herausforderer mit so guten Werten in den Parteitag.

Doch zwei Dinge machen Kerry zu schaffen. Erstens gilt er als langweilig, zweitens als zu weich. Dem Vorurteil der Schwäche setzt er seine Vietnamkriegs- Erfahrung entgegen. Die Geschichte, wie er im Mekong-Delta unter Einsatz seines eigenen Lebens das eines Kameraden rettete, wird in Boston wieder und wieder zu hören sein. Schwieriger dagegen wird es für Kerry, den Eindruck des hölzernen Politikers zu zerstreuen. Von ihm wird also in Boston ein Wunder erwartet: Kerry muss im perfekt durchgeplanten Spektakel eine Überraschung zustande bringen.

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