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Einbürgerungsfeier in Brandenburg

© Patrick Pleul/dpa

Einbürgerung: Grüne wünschen sich mehr Deutsche

Die Grünen wollen Einbürgerungen erleichtern. Im letzten Jahr sind gerade einmal zwei Prozent derer Deutsche geworden, die Anspruch darauf hatten.

Die Grünen wollen die Zahl der Einbürgerungen in Deutschland steigern. Sie soll künftig früher möglich sein, die Einbürgerungsgebühr soll teils erlassen oder aber gesenkt werden und deutsche Sprachkenntnisse künftig nicht mehr von Menschen gefordert werden, die alt, krank oder behindert sind. Für anerkannte Flüchtlinge wollen die Grünen bereits nach drei Jahren einen Anspruch auf Einbürgerung, für alle anderen nach fünf Jahren Aufenthalt. Dabei sollen alle Formen legalen Lebens in Deutschland gültig sein – also auch als „Geduldete“ – und frühere Aufenthaltszeiten im Land angerechnet werden.  

Deutschland müsse den Grundsatz aufgeben, Mehrstaatigkeit möglichst zu verhindern und stattdessen „ein modernes Staatsangehörigkeitsrecht“ entwickeln, „das der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in einer zunehmend globalisierten und mobilen Welt gerecht wird“, heißt es im Entwurf des Gesetzes, das dem Tagesspiegel vorliegt. Die Grünen wollen ihn noch vor der Sommerpause einbringen, damit er bis Ende des Jahres im Bundestag diskutiert wird.  

Zehn Prozent der Bevölkerung dürfen nicht mitbestimmen

Als Grund nennt der Grünen-Entwurf die im europäischen Vergleich niedrige deutsche Einbürgerungsquote. Im Jahre 2013 hätten 7,6 Millionen Menschen in Deutschland ohne deutsche Staatsangehörigkeit gelebt, also etwa zehn Prozent der  seinerzeit 80,1 Millionen Einwohner. Die Wohnbevölkerung und das „wahlberechtigte Staatsvolk, von dem sich die demokratische Legitimität der Staatsgewalt ableitet“, müssten aber „so weit wie möglich in Übereinstimmung gebracht werden“, heißt es im Gesetzentwurf der Grünen.  Dass es ein Problem für einen demokratischen Staat ist, wenn ein großer Teil seiner Einwohner mangels Staatsbürgerschaft nicht wählen kann oder weniger Rechte hat, wurde in Bundestagsanhörungen der letzten Jahre auch schon von Staatsrechtlern moniert, die die Regierungsfraktionen als Experten eingeladen hatten. Die Einbürgerungszahlen waren nach einem Hoch unmittelbar nach der Staatsangehörigkeitsreform 2000 in den ersten 2000er Jahren von Jahr zu Jahr gesunken, stiegen aber seit 2008 wieder auf etwa 100000 pro Jahr. Im vergangenen Jahr lag die Zahl bei etwas über 108 000, was aber 3,5 Prozent weniger waren als im Vorjahr. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts wurden nur 2,2 Prozent derjenigen, die Deutsche hätten werden können, auch tatsächlich eingebürgert.

"Natürliche Fortsetzung der Biografie"

Dabei ist der Wunsch, Deutsche zu werden, durchaus groß. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge stellte 2011 in zwei Studien über Optionspflichtige fest – also die hier aufgewachsenen Migrantenkinder, die sich bis zum 23. Lebensjahr zwischen der deutschen Staatsbürgerschaft und der ihrer Eltern entscheiden mussten – eine klare Neigung zum deutschen Pass fest. Obwohl viele angaben, sich nicht als „richtige“ Deutsche und oft abgelehnt zu fühlen, entschieden sie sich dafür, sich einbürgern zu lassen, weil sie die vollen Rechte der deutschen Staatsbürgerschaft wollten, oder einfach, so einer der meistgenannten Gründe, „weil ich schon immer hier lebe“.

Ihre Entscheidung, so die Autorinnen der Studie, „erscheint quasi als natürliche Fortsetzung der bisherigen Biographie der Befragten“. Auch die, denen es emotional schwerfiel, die Staatsangehörigkeit der Eltern abzulegen, entschieden sich, unter dem Druck einer Entweder-Oder-Entscheidung, für den deutschen Pass. Bei 20 Prozent der Nicht-Eingebürgerten stellten die Forscher fest, dass sie über die Möglichkeiten nicht ausreichend informiert waren. Mehr als zwei Drittel der Befragten fanden die Kosten der Einbürgerung, damals etwa 500 Euro, zu hoch.

"Bürokratische Schikanen"

Der innenpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag Volker Beck, sagte dem Tagesspiegel, es müsse Schluss sein mit „bürokratischen Schikanen“ wie dem zwingenden Einbürgerungstest auch für Menschen, die hier die Schule besucht haben. Auch Mehrstaatigkeit müsse endlich wirklich akzeptiert werden: „Wir wollen mehr Deutsche: Wer dauerhaft in Deutschland lebt, soll schneller eingebürgert werden und seine bisherige Staatsangehörigkeit behalten können. Mit dem Mythos, dass Mehrstaatigkeit dem deutschen Gemeinwesen schadet, muss ein für allemal aufgeräumt werden.“

Problem Verwaltung

Möglich allerdings, dass neue Gesetze - auch wenn die Grünen regierten und ihres durchsetzen könnten - da wenig bewirken werden. Der Münsteraner Migrationsforscher Dietrich Thränhardt sieht die Verwaltung als größtes Problem. Die Ämter seien unterbesetzt, er schätze, dass es in Deutschland etwa 100000 unbearbeitete Anträge gebe. So etwas spreche sich herum und verstärke den Effekt: "Wer von seinem Onkel weiß, dass dessen Antrag schon lange liegt, resigniert selbst und schreibt erst gar keinen eigenen.“ Regionale Unterschiede bewiesen die Bedeutung der Behörden, sagte Thränhardt dem Tagesspiegel: "Während Bayern mit nur einem Prozent Einbürgerungen Schlusslicht ist, liegt Hamburg inzwischen weit an der Spitze, seit der Erste Bürgermeister alle, die mehr als acht Jahre in Deutschland leben, anschreibt und bittet, sich einbürgern zu lassen“. Neben den Antragsstaus sieht Thränhardt aber auch eine wenig moderne Mentalität in den Ämtern als Hindernis: „Viele glauben immer noch, ein Mensch könne nicht mehr als eine Staatsbürgerschaft haben. Das wirkt dann auch auf die Praxis.“ Und mit steigender Arbeitsmigration aus Europa, sagt Thränhardt, werde er Abstand zwischen Staatsbürgern und nicht wahlberechtigter Bevölkerung demnächst "nach oben schnellen".

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