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Politik: Eine Ethik für Berlin - und eine für Brüssel

Wird der Beschluss des Bundestages in Brüssel unterwandert? Wie hältst Du es mit der Stammzellen-Forschung?

Wird der Beschluss des Bundestages in Brüssel unterwandert? Wie hältst Du es mit der Stammzellen-Forschung? Über diese Frage sind sich Forschungsfreunde und Skeptiker in Kabinett und Parlament weiterhin uneins. Dabei hatte der Bundestag am 30. Januar nach langem Ringen eine Kompromissregelung beschlossen: Bereits im Ausland hergestellte Stammzelllinien dürfen demnach in Ausnahmefällen zwar nach Deutschland importiert werden. Die Gewinnung eigener Stammzellen, für die Embryonen getötet werden müssten, bleibt aber strikt verboten. So wollte man erreichen, dass wenigstens künftig keine Embryonen mehr zum Zwecke der Forschung verbraucht werden. Doch die nationale Regelung, die gerade in Gesetzesform gegossen wird, stößt offenbar schon jetzt an ihre europäischen Grenzen.

Zum Thema Dokumentation: Die Debatte um die Stammzellen-Forschung Stichwort: Embryonale und adulte Stammzellen Den Kompromiss im Bundestag sehen einige in Gefahr. Anlass ist ein Papier aus dem Forschungsministerium. Es geht um das sechste Forschungsrahmenprogramm der EU, das 17,5 Milliarden Euro für die Forschungsförderung vorsieht - rund zwei Milliarden für die Biotechnologie.

Auch für jene Wissenschaftler, die aus überzähligen Embryonen weitere Stammzelllinien gewinnen wollen? Bislang hat es der Rat der Forschungsminister abgelehnt, solche Projekte von der Förderung auszuschließen. Ein Dilemma. Denn laut Bundestagsbeschluss soll die Bundesregierung darauf hinwirken, "dass auch auf europäischer Ebene bei Forschungsprojekten eine Beschränkung auf bestehende Stammzelllinien vorgenommen wird". Das hat die Ministerin in den Brüsseler Gremien bislang auch brav getan und gefordert, dass Forschungsprojekte, die auf die Gewinnung neuer Stammzelllinien aus überzähligen Regionen abzielen, keinen müden Euro aus den EU-Fördertöpfen erhalten. Außer den Italienern und den Österreichern will ihr bislang aber niemand folgen. Die Bereitschaft der meisten EU-Staaten, sich der im Vergleich recht strengen deutschen Regelung für die embryonalen Stammzellforschung anzuschließen, ist offenbar gering.

In einem aktuellen Positionspapier des Forschungsministeriums heißt es daher: "Sollte diese Haltung bei den anderen Mitgliedsstaaten sich als nicht durchsetzbar erweisen, ist eine geeignete Rückfallposition zu entwickeln." Es folgt die Warnung: Letztlich dürfe die Verabschiedung des Forschungsrahmenprogramms und der spezifischen Förderprogramme "nicht aus Gründen der Durchsetzbarkeit ethischer Vorbehalte" am deutschen Veto scheitern.

Im Klartext: Notfalls müsse man die vom Bundestag beschlossenen ethischen Grundsätze ein wenig aufweichen, um in Brüssel nicht als Spielverderber dazustehen.

Während man sich im Forschungsministerium über die "bewusste Indiskretion" ärgert, dass jemand aus der Regierung das brisante Papier an die Öffentlichkeit gespielt hat, sind die christdemokratische Opposition und der grüne Koalitionspartner gleichermaßen empört. Sie erwarte, dass der Beschluss des Bundestages auch in Brüssel durchgesetzt werde, sagt etwa Unionsfraktionsvize Maria Böhmer.

Statt bereits über Rückfallpositionen nachzudenken, solle Bulmahn weiter in Brüssel Flagge zeigen. Auch bei den Grünen ist man erschrocken über das Papier, glaubt aber, genug Einfluss zu haben, um eine Rückfallposition zu verhindern. Das Auswärtige Amt habe da schon seinen Blick drauf, heißt es.

Bulmahns Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen ist bemüht die Lage zu entschärfen. Er setzt auf Zeit. Denn bevor der Ministerrat in Brüssel darüber entscheidet, wer gefördert werden darf, wird sich im Mai zunächst noch das EU Parlament mit der Problematik befassen und Einfluss nehmen.

Doch im Papier des Forschungsministeriums heißt es zu der Frage, ob das Parlament die deutsche Forderung aufnehmen werde: Die Mehrheitsverhältnisse im Europäischen Parlament "bezüglich der bioethischen Fragen" seien "unsicher". Eines aber sei sicher, sagt Staatssekretär Catenhusen: "Wir werden bis zum Ende fighten." Fraglich nur, ob mit oder ohne die Rückfallposition.

Markus Feldenkirchen

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