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Politik: Eine Frage der Balance

Die Südwest-CDU will in Dresden ein Gegengewicht zu Rüttgers sein – mit ebenso alten Vorschlägen

Von Robert Birnbaum

Berlin - Einen Gegenantrag – nein, einen Gegenantrag mag Thomas Strobl das nicht nennen, was er als Generalsekretär der baden-württembergischen CDU gerade für den CDU-Parteitag in Dresden ausarbeitet. „Ich würde von einem Gegengewicht sprechen“, sagt Strobl. Der Antrag aus dem Süden soll jenen Antrag der NRW-CDU unter ihrem Chef Jürgen Rüttgers ausbalancieren, der längst zum heimlichen Star des Parteitags in der nächsten Woche avanciert ist. Und damit auch wirklich niemand auf den Gedanken kommt, es gehe um irgendetwas anderes als ums Symbolische, enthält Strobls Antrag inhaltlich genauso wenig Neues wie Rüttgers’ Papier: Beide wiederholen wortgetreu Beschlüsse, die die CDU 2004 bei ihrem Parteitag in Düsseldorf schon einmal gefasst hat.

Das klingt absurd, ist aber bitterernst. Der NRW-Antrag, obwohl von Angela Merkels Generalsekretär Ronald Pofalla schon deutlich entschärft, zielte von Anfang an auf eine Profilverschiebung. Rüttgers hatte ihn stets unter das Banner „Gerechtigkeit“ gestellt – seine Verbündeten in der Union tun es weiterhin. Erst am Montag stellte sich der CSU-Vorstand in München per Beschluss auf die Seite der Nordrhein-Westfalen. Es gehe nicht um „Sozialromantik“ oder „Umverteilung“, sondern um das Prinzip einer gerechten Sozialpolitik, hatte Parteivize Horst Seehofer vor der Beratung betont. Seehofer erinnerte auch daran, dass die Union Rüttgers’ Forderung schließlich in ihr letztes Wahlprogramm mit aufgenommen hatte. Er hoffe sehr, das sei nicht nur geschehen, weil CDU und CSU damals noch in der Opposition gewesen seien.

Nun wissen Rüttgers’ Widersacher natürlich auch, dass sie für seine Forderung früher schon ein- bis zweimal die Hand gehoben haben. Was ihnen missfällt, ist der Eindruck, auf den der Antrag des Mannes zielt, der sich nach dem Sieg in NRW zum wahren „Arbeiterführer“ an Rhein und Ruhr ausgerufen und Merkels Reformparteitag von Leipzig mit dem Wort von den „Lebenslügen“ verknüpft hat. Es dürfe und werde keinen „Linksruck“ geben, hat Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff gesagt.

Die Baden-Württemberger wollen das auch nicht. „Die Wirtschaftskompetenz der Union darf nicht angekratzt werden“, sagt Strobl. Und was die Sache mit der sozialen Gerechtigkeit angehe: „Nur wirtschaftlicher Erfolg sichert sozialen Wohlstand.“ Darum nun also das Gegengewicht. In der Sache soll die CDU noch einmal ihre alten Forderungen zur Arbeitsmarktreform bekräftigen: flexiblerer Kündigungsschutz für neue Arbeitsverträge, etwa die Möglichkeit, auf das übliche Kündigungsrecht schon bei der Anstellung zu verzichten und stattdessen eine Abfindung fest zu vereinbaren. Ebenfalls erneut beschlossen werden soll der Ruf nach betrieblichen Bündnissen für Arbeit.

Zwei Anträge also, beide inhaltlich nicht neu und eben deshalb hochsymbolisch gegeneinander aufgeladen – rein parteitagsmathematisch ergibt das ein Patt. Ob die Rechnung allerdings aufgeht, ist nicht so sicher. Denn inzwischen haben sich ziemlich viele prominente CDU-Politiker nicht nur symbolisch, sondern auch inhaltlich gegen Rüttgers’ Antrag ausgesprochen. Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dietrich Austermann fasst diese Kritik so zusammen: Erstens fördere längeres Arbeitslosengeld für Ältere den falschen Trend zur Frühverrentung, zweitens müsse rund eine halbe Million junge Arbeitslose die Zeche zahlen. Wer aber so denkt, kann kaum um des lieben Friedens willen in Dresden für Rüttgers’ Antrag stimmen. Bliebe der Ausweg, den Michael Glos und Peter Ramsauer gewählt haben. Der Bundeswirtschaftsminister und der CSU-Landesgruppenchef sind anders als die Münchner Prominenz gegen Rüttgers’ Modell. Beide blieben am Montag der CSU-Vorstandssitzung fern.

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