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Politik: Eine Frage der Zeit

Paris lockert die 35-Stunden-Woche

Gekämpft wurde mit harten Bandagen. Seit Anfang der Woche liefern Frankreichs Sozialisten den mit absoluter Mehrheit regierenden Konservativen im Pariser Parlament, der französischen Nationalversammlung, einen regelrechten Kleinkrieg. Das Streitthema: Die 1998 unter dem früheren sozialistischen Regierungschef Lionel Jospin eingeführte 35-Stunden-Woche.

Angesichts steigender Arbeitslosigkeit, galoppierender Inflation und schwindender Kaufkraft will die UMP, die Partei von Staatspräsident Chirac, das Gesetz zur Arbeitszeitverkürzung deutlich lockern, in den Augen der Sozialisten quasi abschaffen. Devise der Konservativen: „Wer mehr arbeiten will, soll dies dürfen und mehr verdienen können“ (Premierminister Jean-Pierre Raffarin). Gegenargument der Linken: „Augenwischerei, über die Arbeitszeit entscheidet letztlich der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer“ (Chef der Angestellten-Gewerkschaft CFDT, Francois Chérèque). Im Gegensatz zur Opposition verspricht sich die Regierung mit der Gesetzesänderung eine deutliche Senkung der Arbeitslosigkeit.

Die Sozialisten und mit ihnen die französischen Gewerkschaften befürchten, dass die Regierung mit der „Aufweichung“ des 35-Stunden-Gesetzes eine 48-Stunden-Woche einführen will, um der Wirtschaft neuen Schwung zu verleihen. Mehr als 300 000 Menschen demonstrierten am vergangenen Wochenende gegen die Regierung, für den Erhalt der Arbeitszeitverkürzung, sichere Arbeitsplätze und höhere Gehälter. Rund 1300 Änderungsanträge brachten die Linken im Parlament gegen die Novellierung des Gesetzes ein – Störmanöver, die die Abstimmung über die Gesetzesänderungen in Sachen 35-Stunden-Woche Tag für Tag hinauszögern. Viel hat es allerdings am Ende nicht genutzt: Raffarin war entschlossen, sein Projekt durchzusetzen und am Abend stimmte das französische Parlament dem Gesetz in erster Lesung zu.

Das wird den meisten Franzosen nicht gefallen. Nach einer Umfrage wollen rund 77 Prozent der Franzosen an ihrer 35-Stunden-Arbeitszeit festhalten und sind entschlossen, dafür zu kämpfen. Der konservativen Regierung droht also erheblicher Unbill. „Sie wäre gut beraten, die Beschäftigten nicht nur zu hören, sondern ihnen zuzuhören“, warnte der Chef der den Kommunisten nahe stehenden Gewerkschaft CGT, Bernard Thibault, und kündigte erneute Kundgebungen und Streiks an.

Sabine Heimgärtner[Paris]

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