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Politik: Eine gute Zeit für kluge Liberale

DIE FDP VOR DREIKÖNIG

Von Robert Birnbaum

Wie erfindet man eine Partei? Die Frage klingt zunächst absurd. Es herrscht ja eigentlich kein Mangel an Parteien in Deutschland. Trotzdem – oder vielmehr: gerade deswegen steht der FDPChef Guido Westerwelle vor genau dieser komplizierten Frage. Die FDP muss nicht erfunden, aber sie muss wieder einmal neu erfunden werden.

Das ist an sich weder für die FDP noch für Westerwelle etwas Besonderes. Die Freie Demokratische Partei ist seit jeher die wandelbarste Konstante der bundesdeutschen Parteienlandschaft. Unter dem Markenzeichen „liberal“ versammelt sich infolgedessen heute ein derart bunter Haufen von Überzeugungen und Haltungen, dass sich eine eigentliche Basis nur schwer ausmachen lässt. Das erklärt, weshalb ein Machiavellist wie Jürgen W. Möllemann – nein, an dem kommt man nicht vorbei, noch lange nicht – diese Basis als be- und gesinnungsloses Plastilin behandeln und ihr jede Idee glaubte einkneten zu können. Von der extrabreiten Volkspartei bis zur bräunlichen Masse. Möllemanns Kalkül, die FDP werde ihm fast überall hin folgen, wenn sein Erfolg nur groß genug ausfiele, war nicht von vornherein so absurd, wie es im Nachhinein wirkt.

Diese Indifferenz der Basis hat es auch Westerwelle schon zwei Mal erlaubt, die FDP neu zu erfinden: Einmal, als er sie erfolgreich von der Rolle des Kohlschen Mehrheitsbeschaffers emanzipierte, das zweite Mal, als er sie gemeinsam mit Möllemann zur bürgerlichen Protestpartei ummodeln wollte. Beide Neuerfindungen hatten eines gemeinsam: Sie richteten sich gegen altes Images – gegen die babylonische Gefangenschaft mit der Union einerseits, mit den „Besserverdienenden“ andererseits. Wofür sie standen, war weniger erkennbar, was aber nur folgerichtig war: Das „ganze Volk“, dem sich diese angeblich neue Partei anbot, kann ja in Wahrheit nur der politisch heimatlose Teil des Volks sein, der sich nicht bei Union, SPD oder Grünen aufgehoben fühlt.

Westerwelles erstes Problem ist, dass die Hinwendung zum „ganzen Volk“ durch Möllemanns Auslegung inzwischen genau so kontaminiert ist wie die frühere zu den „Besserverdienenden". Westerwelles zweites Problem ist, dass sich eine neue Strategie trotzdem nicht gegen dieses Image entwickeln lässt. Einerseits, weil das Prozent-Geprotze Kernelement seines eigenen Images als Vorsitzender ist; andererseits, weil die Umstände den Glauben bitter notwendig machen, die FDP könne wachsen. Die Partei ist zum ersten Mal seit Jahrzehnten in der gefährlichen Lage, bundespolitisch nutzlos zu sein: Niemand kann sie, selbst wenn er wollte, als Mehrheitsbeschaffer einsetzen. Westerwelles drittes Problem ist, dass die FDP von ihm und nur von ihm die Neuerfindung erwartet. Etwas bösartig ausgedrückt: Die elastische Basis verlangt nach einem, der das Plastilin in Form knetet.

Westerwelles problematische Chance liegt darin, dass sich eine solche Form im Moment anbietet. So erstaunlich treu sich das Volk bei der Wahl einer rot-grünen Heimat gezeigt hat, so massiv die Enttäuschung. Die Idee liegt allzu nahe, auf der Protest-Welle zu surfen. Nur – wir kommen noch einmal auf Möllemann zu sprechen – nimmt der FDP und speziell Westerwelle derzeit die Rolle einer Partei(führung) der Besserwissenden niemand ab. Gewisse Leisetreterei täte der liberalen Sache gut; auch stille Arbeit an einem Gesellschaftsentwurf, der über die Vulgärformel „Jeder ist seines Glückes Schmied“ hinausgeht. Für einen klugen, auch energischen, aber nicht sozial kalten Liberalismus steht die Konjunktur gar nicht schlecht. Es wäre mal eine haltbarere Neuerfindung.

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