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Politik: Eine Hand wäscht die andere

Das Europaparlament wählt den Sozialisten Borrell zum neuen Präsidenten – mit Stimmen der Konservativen

Der tosende Beifall für den Verlierer klang ein wenig nach schlechtem Gewissen. Bronislaw Geremek, die Symbolgestalt des polnischen Widerstands gegen den Kommunismus, wurde am Dienstag in Straßburg gefeiert wie ein Sieger. Nach der Wahl des Präsidenten des Europäischen Parlaments verbeugten sich die politischen Rivalen verbal vor dem Mann aus Polen, dem sie zuvor ihre Stimme verweigert hatten. Der Vorsitzende der christdemokratisch-konservativen Europäischen Volkspartei, Hans-Gert Pöttering, und der neu gewählte Fraktionschef der Sozialisten, Martin Schulz, sangen ihm geradezu Lobeshymnen: „Es ist eine Zierde für die EU, dass Sie in unserem Hause sind“, sagte Martin Schulz.

Doch gewählt hatten sie Geremek nicht. Der kantige polnische Intellektuelle war gleich im ersten Wahlgang klar dem sozialistischen Parteimann Josep Borrell aus Spanien unterlegen. Der Historiker und ehemalige „Solidarnosc“-Dissident erhielt zwar respektable 208 Stimmen – deutlich mehr als die Liberalen, die ihn aufgestellt hatten, und die Grünen, die ihn unterstützen, in Straßburg zusammengenommen Sitze haben. Der spanische Linkssozialist Borrell dagegen wurde mit 388 Stimmen auch von einem erheblichen Teil der Christdemokraten und Konservativen gewählt – wenn auch mit Zähneknirschen.

In den Tagen zuvor hatten sich die Protagonisten des Straßburger Machtspiels mehrfach hinter verschlossenen Türen getroffen. Am Ende war klar: Die Christdemokraten verschaffen den Sozialisten jetzt die absolute Mehrheit für ihren Kandidaten Borrell, der die nächsten zweieinhalb Jahre auf dem Präsidentensessel des Europaparlaments sitzen wird. In zweieinhalb Jahren soll dafür im Gegenzug der deutsche Christdemokrat Hans-Gert Pöttering die Nachfolge antreten.

Dass Pöttering und Schulz auch die Wahl des konservativen portugiesischen Ministerpräsidenten Jose Manuel Barroso zum nächsten Präsidenten der EU-Kommission am nächsten Donnerstag ausgekungelt haben, wollten beide am Dienstag nicht zugeben. Alles spricht aber dafür, dass sich die Christdemokraten die Zustimmung zu Borrell durch ein weiteres, Zugeständnis der Sozialisten abkaufen ließen: Die Wahl Barrosos durch das Europaparlament.

„Die Christdemokraten hätten heute sogar den Teufel gewählt, wenn sie dafür in zweieinhalb Jahren den Sessel des Parlamentspräsidenten und am Donnerstag die Wahl des Kommissionspräsidenten bekommen hätten“, schimpfte der Grüne Daniel Cohn-Bendit. „Geremek war der Kandidat, der für die neuen Mitgliedsländer steht. Die Wahl war ein Fehlstart des neuen Europaparlaments.“ Pöttering dagegen sagte: „Wir brauchen Stabilität in den europäischen Institutionen.“ Wenn das EU-Parlament Barroso die Zustimmung verweigere, dann, so fürchtet Pöttering, stürze die EU in eine neue Krise.

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