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Politik: Eine Krankenkasse ist auch nur ein Konzern

Die Regierung will gesetzliche Versicherer ebenfalls dem Kartellrecht unterstellen.

Berlin - Für den SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach ist es „der am meisten unterschätzte Gesetzesvorstoß von Schwarz-Gelb“. Und Franz Knieps, unter Ulla Schmidt Abteilungsleiter im Gesundheitsministerium, spricht vom „gefährlichsten Vorhaben für die gesetzliche Krankenversicherung in der gesamten Legislaturperiode“. Die Warnung gilt einer gerade mal zwölf Zeilen langen Passage in der geplanten achten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen. Auch für die Krankenkassen, so steht darin sinngemäß, soll künftig das Kartellrecht gelten.

Das Kabinett hat die Gesetzesänderung, die Experten zu solchen Superlativen treibt, bereits Ende März im Paket gebilligt. Am Freitag berät der Bundestag darüber, und besorgte Sozialpolitiker werden dort wohl nochmals versuchen, ihren Kollegen die Dimension des Vorhabens klarzumachen. Man müsse „schon etwas naiv sein, um die Folgen nicht zu erkennen“, sagt der Frankfurter Verfassungsrechtler Ingwer Ebsen. Mit dem Kartellrecht drohe „Deregulierung bis hin zur Privatisierung“. Die Selbstverwaltung begebe sich ihrer Gestaltungsmöglichkeiten, sie unterwerfe sich dem Europarecht und dessen Wettbewerbsvorschriften. „Die Gesundheitspolitik entmannt sich selber“, sagt Lauterbach.

Bislang agieren die Kassen als Körperschaften öffentlichen Rechts, die dem Solidarprinzip verpflichtet sind und dem normalen Wettbewerbsrecht nicht unterliegen. Sie dürfen nicht nur miteinander kooperieren, sie sollen es sogar – zum Wohle des Patienten, dem damit bei Versorgung oder Prävention besser geholfen ist als mit Einzelkämpfer-Kassen, die sich allein gegen Mediziner und Pharmaindustrie behaupten müssen. So zumindest die bisherige sozialpolitische Sichtweise.

Dagegen stehen Befürchtungen vor der wachsenden Marktmacht der Kassen. Mit ihren Rabattverträgen, zuletzt über Arzneien mit einem Gesamtumsatz von 4,2 Milliarden Euro, demonstriert die AOK seit Jahren, dass an ihr kein Hersteller mehr vorbeikommt. Auch Barmer GEK, Techniker Krankenkasse und DAK wachsen. Die Zahl der Kassen werde sich weiter verringern, argumentiert das Gesundheitsministerium. Und dass es sinnvoll sei, bei Fusionen künftig das Kartellrecht anzuwenden.

Wenn man so will, haben einige Kassen aber auch selber die Axt an ihren Status gelegt. Anfang 2010 kündigten acht von ihnen in einer gemeinsamen Pressekonferenz an, von ihren Mitgliedern künftig Zusatzbeiträge nehmen zu wollen. Politik und Verbraucherschützer ärgerten sich mächtig über den sichtlich abgestimmten Vorstoß, doch die Kartellwächter hatten keine Eingriffsmöglichkeit. Die Liberalen, die das Wettbewerbsrecht seit jeher auch auf gesetzliche Kassen ausweiten wollen, fühlten sich bestätigt.

Da fügte es sich gut, dass sich Wirtschafts- und Gesundheitsministerium in FDP-Hand befinden – und dass sie beim Kartellamt wegen der Globalisierung der Märkte dankbar für jede neue Zuständigkeit sind. Kooperationen der Kassen, wie beim Mammografie- Screening, blieben weiter möglich, beschwichtigt Röslers Ressort. SPD-Politiker dagegen sehen alles gefährdet, was die Kassen bisher gemeinsam auf den Weg brachten: Arzneifestbeträge, Leistungsausschlüsse, Mindestmengenregelungen, Chroniker- und Screeningprogramme. Und der Sonderstatus der Kassen werde „versteckt“ und quasi nebenbei über ein anderes Ministerium abgewickelt, ärgert sich die Abgeordnete Bärbel Bas. Nicht einmal eine Anhörung im Gesundheitsausschuss habe es gegeben.

Über den Bundesrat lässt sich die Gesetzesnovelle laut SPD nicht stoppen, sie sei in entscheidenden Teilen nicht zustimmungspflichtig. Doch Bedenken kommen auch aus der Union. Während Jens Spahn (CDU) die Befürchtungen der politischen Gegner als „reine Panikmache“ abtut, schrieb Johannes Singhammer (CSU) dem Gesundheitsminister, die Gesetzesnovelle schaffe mehr Probleme, als sie löse. Die Zuständigkeit des Kartellamts für die Krankenkassen werde zu „erheblicher Rechtsunsicherheit“ führen.

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