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Politik: Eine Partei will Leben

SPD SUCHT PROGRAMM

Von Tissy Bruns

Bindungsschwach und treulos wechselt der Wähler von Wahl zu Wahl seine Meinung. Warum auch nicht? Schließlich tummeln sich alle Parteien in der Mitte, verschweigen vor der Wahl, worauf es ankommt und machen danach mehr oder weniger das Gleiche. Die SPD regiert. Weil sie seit einem halben Jahr das halbwegs Richtige ganz schlecht macht, ist sie bei jeder Wahl der beliebteste Watschenmann. Die Wähler laufen weg. Die SPD sucht – ein Programm. Hat sie nichts besseres zu tun?

Mit ihrer 140-jährigen Geschichte ist die SPD so etwas wie die katholische Kirche unter den deutschen Parteien. Während Liberale und Konservative nach den Brüchen der deutschen Geschichte sich neu konstituieren mussten, bestand die SPD als Organisation. Denn sie wusste sich immer neu zu begründen, getreu dem Grundsatz, wonach die Kirche eine ständig zu reformierende ist. Die SPD hat im Lauf ihrer Geschichte große Metamorphosen vollzogen; sie hat sich verändert und blieb trotzdem unverkennbar die SPD, von der sich jeder Bürger einen Begriff, den von der Gerechtigkeit, machte. Von der Klassen- zur Volkspartei führte 1959 die letzte Wandlung, die sich mit dem Wort Godesberg verbindet.

In den puren Pragmatismus führte, ganz gegen die Absicht seiner Autoren, das immer noch gültige Berliner Programm. Es wurde in den 80-er Jahren diskutiert, in der Oppositionszeit der SPD. Es waren die Jahre, in denen Theorie-Diskussionen in der SPD so beliebt waren, dass sie in der Öffentlichkeit zu Recht in Verruf gerieten. Wo immer Programmdebatten geführt wurden, konnte man sicher sein, dass Sozialdemokraten auf der Flucht vor der Realität waren. Es war nur zu gerecht, dass die mächtige Wirklichkeit des Jahres 1989 das Berliner Programm schon zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung überrollte.

Die Generation von damals hat auf dem Weg zur Macht ihre Lehren gezogen. Schröders augenzwinkerndes Abrücken von der eigenen Partei, sein demonstrativer Pragmatismus waren nötig, um die SPD mehrheitsfähig zu machen. Im anderen politischen Lager zerfielen in dieser Zeit wegen Kohls überlanger Regierungszeit die geistig-programmatischen Bestände. Man gab sich unideologisch in den 90-er Jahren. Nach dem schmählichen Ende der großen Ideologien dominierte auf allen Seiten die pragmatische Suche nach vernünftigen Problemlösungen. Christ- oder Sozialdemokraten, da gab es feine Unterschiede. Aber die große Alternative, die Willy Brandt und Helmut Kohl zu Kanzlern machte, suchten die Wähler bei Schröder 1998 nicht. Kein Schaden, denn es war nicht viel zu entscheiden.

Jedenfalls schien es so. Seit leere Kassen und Konjunkturkrise die Reformen erzwingen, die in besseren Zeiten vermieden wurden, macht sich der Mangel an Zusammenhang, Einordnung und Begründungen schmerzlich bemerkbar. Schröders Kurs fehlt die Philosophie, der rote Faden, der Blick in die Zukunft. Die Wähler ordnen der SPD das alte Gütesiegel Gerechtigkeit nicht mehr zu. Alle spüren, dass es nicht um einzelne Maßnahmen, sondern um große Einschnitte geht. Da will man wissen, ob Union und SPD in die gleiche oder verschiedene Richtungen marschieren. Da müssen die Parteien die Fragen beantworten können: Warum? Mit welchem Ziel?

Es ist darum durchaus nützlich, dass die Diskussion um ein neues Parteiprogramm der SPD sich plötzlich belebt. Sollen sie die Regierungspartei ruhig quälen mit den Fragen nach Gerechtigkeit und Freiheit. Der SPD-Chef muss dankbar sein, dass seine Generation der SPD nicht jeden Mut zum Programm hat austreiben können.

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