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Politik: Einfach nur machen

Angela Merkel lässt sich durch Kritik nicht beirren – der Jungen Union gefällt das

Von Robert Birnbaum

Immer wenn einer „Friedrich Merz“ sagt, tobt der Saal. Am Sonnabend hat der CDU-Finanzpolitiker den Deutschlandtag der Jungen Union zu Beifallsstürmen hingerissen. Die Begeisterung wirkt nach. Sie ist freilich nicht als Affront gegen den Gast des Tages gedacht, obwohl man auf den Gedanken kommen könnte. Aber die Jungpolitiker von CDU und CSU sind so etwas wie der Stoßtrupp der Reformpolitik in der Union. Und denen ist Merz teuer, aber Angela Merkel trotzdem etwas wert. Im Vergleich zu Edmund Stoiber allzumal. Der hat tags zuvor beim Deutschlandtag ein Trommelfeuer der Kritik über sich ergehen lassen müssen. Daran gemessen ist es für Merkel am Sonntag ein Heimspiel. Stoiber hatte sich in der Augsburger Kongresshalle gegen den Vorwurf wehren müssen, Verrat am Reformkurs zu üben. Er hat sich freilich so mannhaft verteidigt, dass JU-Chef Philipp Mißfelder ihn am Sonntag Merkel als Vorbild an Diskussionsbereitschaft hinstellt – was der Saal ebenfalls mit starkem Beifall honoriert.

Eine Diskussion, die Merkel eigentlich so nicht wollte. Die CDU-Chefin bleibt auch dabei: Für die Aufarbeitung des enttäuschenden Wahlergebnisses sei nach der Regierungsbildung Zeit, nicht vorher. „Wir liegen da bloß um drei Wochen auseinander“, sag Merkel Richtung Mißfelder, „es geht nicht um den Sankt-Nimmerleins-Tag.“ Mehr Reform, weniger Reform, Stillstand – die Lehre aus der Wahl vom 18. September sei kein Thema für einen „Schnellschuss“. Auch keins für einseitige Schuldzuschreibungen: „Im Sinne der Volkspartei müssen sich alle Flügel in einer solchen Analyse wiederfinden.“

Vor allem aber will sich Merkel den Rücken freihalten für die Koalitionsverhandlungen mit der SPD. Dafür räumt sie sogar erstmals offen einen Fehler im Wahlkampf ein: „Viele Menschen haben uns schon als Regierung wahrgenommen und die anderen als Opposition.“ Den gleichen Fehler dürfe die Union nun nicht wiederholen. „Die große Koalition gibt es noch nicht“, warnt Merkel. Die müsse erst noch hart verhandelt werden.

Das muss sie den gut 350 JU-Delegierten nicht sagen. Denn das ist der Grund, weshalb die Jung-Politiker mitreden wollen, und zwar jetzt und nicht, wenn es vielleicht zu spät ist. Der Tenor bei den Wortmeldungen nach Merkels Vortrag ist durchgehend: Landgräfin, bleibe hart! „Werden Sie nicht die erste CDU-Kanzlerin einer SPD-Regierung“, beschwört sie ein bayerischer Delegierter. „Machen Sie Schluss, wenn’s nicht funktioniert, eher früher als später!“ Dem NRW-Landeschef Henrik Wüst macht die eigene Sozialabteilung mehr Sorge als die SPD: „Eine bloße Rückkehr zur Sozialromantik darf es nicht geben.“ Sein Stellvertreter Dominik Risse zielt in die gleiche Richtung: Eines der schlechtesten Ergebnisse in der Geschichte der CDU – und dann alle Reformministerien an die SPD gegeben! Wenn im Koalitionsvertrag nicht die Gesundheitsprämie drinstehe und die betrieblichen Bündnisse für Arbeit – „wir werden dann die große Koalition in Frage stellen.“

Das ist selbst für JU-Verhältnisse arg maximalistisch. Merkel nimmt auch den Sozialflügel in Schutz: „Unsere CDU/CSU hat nur eine Zukunft, wenn wir alle Kreise unserer Bevölkerung mitnehmen.“ Aber sie verspricht den Besorgten, Kurs zu halten: Schlechtes Wahlergebnis, jawoll. Aber die 35 Prozent jedenfalls hätten ja wohl nicht CDU gewählt, „damit wir am Tag danach alles fallen lassen“. Nein, so viel Reform-CDU wie möglich solle ins Koalitionsprogramm. Und dann: „’ne Kanzlerin hat ja immer noch ’ne ganze Menge Möglichkeiten.“ Mißfelder will ihr das Wort „Richtlinienkompetenz“ nahe legen. Merkel winkt ab. „Ich hab Helmut Kohl über dieses Wort überhaupt nie sprechen hören“, sagt sie. „Der hat das einfach immer nur gemacht.“ Da ertönen zum ersten Mal „Angie, Angie“-Chöre.

Nur der hessische JU-Chef Peter Tauber hat sich nicht ganz eingereiht in die Rufer nach der harten Landgräfin. Tauber hat erst Merz zitiert, der am Vortag unter gewaltigem Jubel die Jacke ausgezogen und im Hemd vom Rednerpult gerufen hatte, dass sich die Union nicht damit abfinden dürfe, dauerhaft im 30-Prozent-Turm zu landen. Und dann hat Tauber auch noch Kohl zitiert, einen Satz vom letzten JU-Deutschlandtag: „Wenn Politik erfolgreich sein will, muss sie die Menschen im Herzen berühren.“ Da wünsche er sich neue Fragen und neue Antworten. Bekommen hat er von seiner Parteichefin vorerst keine. Es sei denn, man will die Ankündigung als Antwort nehmen, dass die CDU ihr Grundsatzprogramm überarbeiten solle – im Lichte eines der schlechtesten Wahlergebnisse ihrer Geschichte.

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