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Politik: Eingeholt von der Wirklichkeit

Seit mehr als zwei Wochen sind Frankreichs Vorstädte in Aufruhr – jetzt meldet sich Chirac zu Wort

Was macht eigentlich Jacques Chirac? In den vergangenen Tagen ist diese Frage immer wieder aufgetaucht. Während in den Vororten von Paris und anderen großen Städten Autos angezündet und Brandflaschen gegen öffentliche Einrichtungen geschleudert wurden, war der Staatspräsident auf merkwürdige Weise abwesend von der politischen Szene. Seit dem gestrigen Montag herrscht nun Gewissheit. Chirac ist noch – oder wieder – da. Nachdem der Ministerrat am Morgen in einer Sondersitzung unter seinem Vorsitz die Verlängerung des Ausnahmezustands um drei Monate beschlossen hatte, wandte sich der Präsident am Abend in einer von Rundfunk und Fernsehen übertragenen Erklärung an die Franzosen.

Bisher hatte Chirac das Feld Premierminister Dominique de Villepin und Innenminister Nicolas Sarkozy überlassen, seit die Unruhen am 27. Oktober ausbrachen. Nur einmal trat er an die Öffentlichkeit, als er im Beisein des Regierungschefs den Notstand verkündete. Aber auf ein Wort des Präsidenten warteten die Franzosen lange Zeit vergeblich. Man befinde sich noch „in der Phase der Wiederherstellung der Ordnung“, sagte er bei einer Pressekonferenz mit dem spanischen Premierminister José Luis Zapatero. Wenn diese Phase vorüber sei, wolle er seine „Überlegungen zu den Gründen der Krise und ihrer Überwindung“ bekannt geben. Doch die Ordnung ist noch lange nicht wiederhergestellt. Immerhin noch etwa 300 Autos gingen in der Nacht zum Montag in Flammen auf. Die Krise droht zu einem schwelenden Dauerzustand zu werden.

So hilflos erwies sich schon lange kein Präsident mehr. Und auch so erfolglos. 1995 war er mit der Verheißung gewählt worden, die sozialen Gräben zuzuschütten, die die französische Gesellschaft durchziehen. Bei seiner Wiederwahl im Jahr 2002 hatte er die Wiederherstellung der inneren Sicherheit als vorrangige Aufgabe dargestellt. Die Bilanz seiner Politik ist nun in den Vorstädten zu besichtigen. Die linke Opposition hält sich zurück. Sie war während sieben Jahren unter Chirac an der Regierung und ist damit auch für die heutige Lage mitverantwortlich. Aber auch in den Reihen von Chiracs Regierungspartei UMP regt sich Kritik. „Der Präsident ist von der Wirklichkeit abgeschnitten“, zitiert die Zeitung „Libération“ einen seiner Parteifreunde. Auch die Franzosen trauen dem bald 73-jährigen Präsidenten nicht mehr viel zu. In einer Erhebung vom vergangenen Sonntag zu der Frage, von wem Lösungen der Krise zu erwarten seien, landete Chirac weit hinter Sarkozy und Villepin auf dem siebten Platz.

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