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Politik: Einladung zur Fahrt in den Tod

Es war bereits tiefschwarze Nacht, als Volker Handloik und sein Kollege Paul McGeough am Sonntag auf das Dach des gepanzerten Wagens von Kommandant Amer Bashir aufsprangen. Auf das Dach deshalb, "weil es da oben am meisten Spaß macht", sagt McGeough, Afghanistan-Reporter der australischen Zeitung "Sydney Morning Herald".

Es war bereits tiefschwarze Nacht, als Volker Handloik und sein Kollege Paul McGeough am Sonntag auf das Dach des gepanzerten Wagens von Kommandant Amer Bashir aufsprangen. Auf das Dach deshalb, "weil es da oben am meisten Spaß macht", sagt McGeough, Afghanistan-Reporter der australischen Zeitung "Sydney Morning Herald". Er und der deutsche Journalist Volker Handloik, der für den "Stern" unterwegs war, hatten sich erst eine Woche zuvor kennen gelernt. Der 40-jährige Deutsche mit den blonden Haaren und der sportlichen Figur war McGeough sofort sympathisch, auf dem Dach des Fahrzeugs saßen sie nebeneinander. Mit ihnen waren vier weitere Reporter unterwegs: die Franzosen Johanne Sutton, Pierre Billaud und Véronique Rebeyrotte und der russische Journalist Levon Sedunts. Sie alle hatte der Komandant der Nordallianz zu dieser Fahrt eingeladen, um ihnen seinen Sieg über die Taliban vor Augen zu führen.

Zum Thema Online Spezial: Terror und die Folgen Themenschwerpunkte: Krieg - Afghanistan - Bin Laden - Islam - Fahndung - Bio-Terrorismus Fotostrecke: Der Krieg in Afghanistan Kein Geräusch außer dem Dröhnen des Motors war zu hören, als sie durch die Hügel und Täler des Kalakata-Gebirges fuhren, vorbei an einem verlassenen Dorf, etwa acht Kilometer entfernt von der Stadt Dascht E-Kaleh. Die Dunkelheit lag vor ihnen wie eine schwarze Wand. "Angst hatten wir keine", erinnert sich McGeough, als er gestern am Telefon von der Nacht erzählte, "ich verließ mich auf Kommandant Bashir, der uns gesagt hatte, dass sie die Taliban geschlagen hätten." Die Radio-Journalistin Véronique Rebeyrotte sagte später: "Wir haben noch Witze gemacht über unseren eher zurückhaltenden Übersetzer. Keinen Augenblick haben wir daran gedacht, dass das riskant sein könnte." Eine fatale Fehleinschätzung, wie sich später herausstellen sollte, die drei Journalisten mit ihrem Leben bezahlten.

Plötzlich durchschlugen Schüsse und Explosionen die Stille der Nacht. "Sie feuerten auf uns aus drei Richtungen. Das Ganze schien eine koordinierte Attacke", sagte McGeough. Was dann geschah, lässt sich nur rekonstruieren. Das Fahrzeug bremste im Kugelhagel abrupt ab; Handloik, die Franzosen Johanne Sutton und Pierre Billaud fielen herunter, vielleicht sprangen sie auch ab. McGeough sah nur noch, wie Handloik auf den Boden rollte. McGeough selbst klammerte sich an das Fahrzeug. Da war er noch davon überzeugt, dass er seine Kollegen lebend wiedersehen würde, da in dem Gebiet eine Reihe von Soldaten der Nordallianz unterwegs waren. Die würden die Drei retten.

Nach einer Odyssee durch die Hügellandschaft - der Fahrer hatte nach dem Angriff die Orientierung verloren - kehrten die verbleibenden drei Journalisten sicher in ihr Lager zurück. Ihre Kollegen sollten sie nicht mehr wiedersehen, ihre Leichen wurden am nächsten Morgen ins Camp gebracht. McGeough berichtet, er habe an Handloiks Leiche eine Schusswunde am Kopf bemerkt, auch die Körper der Franzosen hätten zahlreiche Schussverletzungen aufgewiesen.

Handloik, sagt McGeough, habe auf ihn einen erfahrenen Eindruck gemacht. Der gebürtige Rostocker und ausgebildete Drucker war seit dem Fall der Mauer als Journalist in vielen Teilen der Erde unterwegs. Für Zeitschriften wie "Merian", "Geo" und "Mare" war er im Himalaya, in Hongkong und am Kaspischen Meer unterwegs. Seit Anfang Oktober berichtete der freie Journalist für den "Stern" aus der Krisenregion um Afghanistan.

Von dort aus hatte er vor eineinhalb Wochen das letzte Mal über Satellitentelefon seinen langjährigen Freund, den Berliner Fotografen Harald Hauswald, angerufen. Im Norden Afghanistans sei nicht viel los. "Hier ist es stinklangweilig", sagte er und lachte - wohl um den Freund zu beruhigen. Als sie vor ein paar Wochen, kurz vor Handloiks Abreise, in Frankfurt (Oder) im Garten einer Kneipe saßen, es war ein milder Herbstabend, hatten sie noch gescherzt: Jetzt zieht der Volker also in den Krieg. Doch obwohl Handloik auch schon als Reporter im Kosovo gewesen sei, könne man ihn nicht als Kriegsreporter bezeichnen, sagt Hauswald. "Volker hat sich nicht so sehr für das militärische Vorgehen interessiert als vielmehr für die Geschichten der Menschen dort."

Ähnlich äußern sich auch Kollegen von Johanne Sutton, die ebenfalls am Sonntag starb. "Es ging ihr nicht um die Exklusivgeschichte", beschreibt ihr Chef Henri Perilhou die 34-Jährige, die während des Golfkrieges zu "Radio France International" kam. Und doch zog es sie zu den Kriegsschauplätzen, nach Mazedonien, ins Kosovo und immer wieder in den Nahen Osten, wo jener Konflikt herrscht, der die in Casablanca geborene Jüdin nicht losließ.

"Einfache Erklärungen haben ihr nie genügt", erzählt eine in Berlin lebende Kollegin und enge Freundin von Johanne Sutton. Anfang Oktober hat sie sie noch einmal in Berlin getroffen, als Johanne Sutton sich bei der usbekischen Botschaft ein Visum für ihre Berichterstattung im Kriegsgebiet besorgte. Ihre Bergschuhe hatte Johanne Sutton in Paris vergessen, deshalb zogen die beiden Freundinnen los ins KadeWe. Der sechsjährige Sohn der Freundin hat der Kriegsreporterin aus Frankreich damals viele Fragen zum Leben und zum Tod gestellt. "Aber Johanne hat nur gelacht und war ganz optimistisch."

Auch Handloik hatte wohl nie Angst bei seinen Reportagereisen. Zu einer anderen Journalistin sagte er einmal: "Wer Angst hat, ist in diesem Beruf falsch." Er sei aber kein Draufgänger gewesen, sondern "lebens- und welterfahren", sagt sein Freund Hauswald. Vor etwa einem Jahr war Handloik, der fließend Spanisch und Russisch sprach, nach Moskau gezogen. Seine Möbel hatte er zwischengelagert, er behielt noch ein Zimmer bei einer Freundin in Prenzlauer Berg. "Volker wollte sich verändern. Deshalb ging er nach Moskau", sagt Hauswald.

Handloik hatte dem "Stern" von sich aus angeboten, nach Afghanistan zu reisen. Man habe ihm dann den Auftrag für eine Geschichte erteilt, die am Donnerstag auch erscheinen werde, sagte der Pressesprecher des Hamburger Magazins Frank Plümer. In den vergangenen sieben Jahren waren bereits drei "Stern"-Reporter im Kosovo und in Tschetschenien getötet worden. "Wir haben Volker Handloik auch schriftlich mitgeteilt, dass seine Sicherheit immer Vorrang hat, und er für keine Geschichte sein Leben aufs Spiel setzten soll", sagte Plümer. Was Sonntagnacht geschehen sei, sei jedoch ein unvorhersehbarer, tragischer Unfall gewesen.

Auch bei Véronique Rebeyrotte, die mit den anderen auf dem Wagen saß, sitzt der Schock tief. Die Kriegssituation hat sie alle zusammengeschweißt. "Wir wollten unbedingt dieses Abenteuer bis zum Ende verfolgen und mit unserer Arbeit gemeinsam weitermachen", sagt Véronique Rebeyrotte.

Inzwischen ist sie auf dem Weg in die tadschikische Hauptstadt Duschanbe, von wo aus auch die Leichname der getöteten Kollegen in die Heimat überführt werden sollen. Ein anderer wird Véronique Rebeyrottes Arbeit übernehmen. Der Australier McGeough will Afghanistan hingegen nicht verlassen. "Natürlich bin ich jetzt oft den Tränen nah", sagt er, aber er habe noch einige Geschichten zu schreiben.

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