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Politik: Einmal Nazi – immer Nazi?

Von Richard Schröder

Der Außenminister hat angeordnet, dass ehemalige Mitarbeiter des Amtes, die NSDAPMitglieder waren, nicht mehr durch einen hausinternen Nachruf gewürdigt werden sollen. Nach Protesten sollen nun solche Würdigungen ganz unterbleiben. Vielleicht ist das rebus sic stantibus gar keine schlechte Lösung.

Ich halte die erste Entscheidung für falsch. „Wer eine Funktion im Nationalsozialismus hatte und bewusst oder unbewusst dafür sorgte, dass dieses Räderwerk lief, der muss sich gefallen lassen, dass seine Tätigkeit nach 1945 nicht lobend oder ehrend hervorgehoben wird“, so hat Salomon Korn vom Zentralrat der Juden jene Entscheidung verteidigt. Dem kann ich nicht zustimmen, wenn es um die bloße Parteimitgliedschaft geht. Wer heute mit 85 Jahren stirbt, war bei Kriegsende 25 Jahre alt und – wenn er studiert hat – etwa zwei Jahre berufstätig, wenn er nicht eingezogen war. Und da soll die einfache Parteimitgliedschaft jener Jahre alles, was er in den folgenden 60 Jahren seines Lebens geleistet hat, unbesehen der lobenden Erwähnung entziehen? Einmal Nazi – immer Nazi? Jesus hat gesagt, Gott freue sich über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen (Lukas 15, 7). Aber haben sie denn Buße getan? Ins Herz schaut nur Gott. Jedenfalls haben sie einem demokratischen Staat gedient, und ich nehme an, sie hätten hinterher viel darum gegeben, nicht NSDAP-Mitglied gewesen zu sein. „Die Debatte scheint nur verständlich im Zusammenhang mit einer sich gegenwärtig abzeichnenden Revision der Geschichte des ‚Dritten Reiches“, sagt Salomon Korn. Da ist ja schon das Urteil über mich gesprochen. Aber den Schuh ziehe ich mir nicht an. Ich habe nämlich selbst eine Diktatur erlebt. Ich weiß, das gilt als unvergleichbar. Aber eine Einheitspartei, bei der Mitgliedschaft Karrierebedingung war, die „Einheit von Partei und Staat“, die Vernebelung der Gehirne durch Propaganda, die völlige Instrumentalisierung der Justiz, das alles habe ich sehr genau studieren können. Und auch die verschiedenen Motive, der SED beizutreten. Und die verschiedenen Weisen, sich hinterher dazu zu verhalten. Merkwürdigerweise findet derjenige, der sagt: „Ich habe einer falschen Sache gedient“ heute weniger Respekt als derjenige, der frech erklärt: „Ich stehe zu meiner Biographie.“ Trotzdem finde ich es richtig, dass die einfache SED-Mitgliedschaft kein Ausschlussgrund für öffentliche Ämter ist.

Ich habe vom Osten her mit großem Respekt verfolgt, wie die Bundesrepublik nach und nach gelernt hat, in den Abgrund der Nazi-Verbrechen zu schauen. Das ist international nicht gerade üblich. Die Türkei hat da noch einiges vor sich und Japan wohl auch. Wer eine Diktatur nicht erlebt hat, überschätzt leicht seine eigene Fähigkeit zum Widerstehen. Deshalb sollte er lieber nicht ersatzweise an den Alten Exempel statuieren.

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