zum Hauptinhalt

EinSPRUCH: Vorzeitige Verrentung: Das Jobcenter darf das

Wenn sich ein Arbeitsloser nicht früher verrenten lassen will, kann das Jobcenter ihn dazu zwingen.

Von Fatina Keilani

Herr K. ist über 60 und findet seit Jahren keine Arbeit mehr. Er lebt mit seiner Frau von Hartz IV. Ein halbes Jahr vor seinem 63. Geburtstag forderte ihn das Jobcenter Duisburg auf, einen Antrag auf vorzeitige Verrentung zu stellen - zwei Jahre vor Erreichen des Regelalters. Herr K. lehnte ab und klagte, denn die vorzeitige Verrentung bedeutet für ihn weniger Geld. Statt seiner vollen Rente von 924 Euro bekäme er etwa 77 Euro weniger. Das wollte er nicht.

Da stellte das Jobcenter selbst den Antrag und schickte seinen „Kunden“ in die Zwangsverrentung - zu Recht, wie das Bundessozialgericht am 19. August entschied. Dass die Rente dann geringer ausfalle, sei hinzunehmen. Doch gerade bei niedrigen Renten kann der Abschlag den Empfänger durchaus schmerzen, denn für jeden Monat der Vorzeitigkeit wird die Regelrente um 0,3 Prozent gekürzt. Das ist vom Gesetz so gewollt, da auch weniger lang gearbeitet und damit weniger eingezahlt wird. Dass das Jobcenter jedoch diese Entscheidung auch gegen den Willen des Betroffenen treffen kann, finden viele ungerecht und unsozial. Die Linke hat im Bundestag gemeinsam mit den Grünen versucht, eine Abschaffung dieser Praxis zu erreichen, vergeblich.

Praktiziert wird die vorzeitige Verrentung seit 2008, und seither sind die Zahlen jedes Jahr gestiegen - von 800 im Jahr 2008 auf 2700 im Jahr 2014. Der Grundgedanke ist, dass jeder, der von Sozialleistungen lebt, alles tun muss, um aus der Hilfsbedürftigkeit herauszukommen, und das geschieht im Falle der vorzeitigen Verrentung dadurch, dass das Geld dann aus einem anderen Topf kommt. Sprich: Jobcenter und Kommunen können durch vorzeitige Verrentung wieder einen Bezieher der von Steuergeldern finanzierten Sozialhilfe streichen, stattdessen zahlt die beitragsfinanzierte Rentenversicherung - und schon ist der zwangsverrentete Hartz-IV-Bezieher im rechtlichen Sinne nicht mehr hilfsbedürftig. Weiterer Charme: Wieder ein Arbeitsloser weniger in der Statistik.

Im Falle von Herrn K. konnte das Gericht erst recht keine Unbilligkeit erkennen: Seine vorzeitige Altersrente sei trotz der Abschläge erheblich höher als sein Arbeitslosengeld-II-Bedarf, so das Gericht in seiner Mitteilung. Durch sie werde er also nicht hilfebedürftig im Sinne des Gesetzes. Da hat er Glück. Denn ist die Rente zu niedrig, muss doch wieder die Sozialhilfe ran. Aber diesmal muss der gebeutelte Rentner vorher seine Ersparnisse auflösen - auch die zur Altersvorsorge. Um das zu verhindern, hat das Gesetz dem Jobcenter immerhin in der Unbilligkeitsverordnung Ermessensspielräume eingeräumt, die allerdings auf Herrn K. nicht zutrafen.

Am 1. August wurde Herr K. 65. Es ist ihm übrigens mittlerweile gelungen, doch die volle Rente zu bekommen. Der Fall zeigt einmal mehr, wie kompliziert unser Sozialsystem ist.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false