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Aus alten Stoffen neues machen: „Wenn Euch die Phantasie fehlt, geht in die Oper“, empfiehlt der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann den Grünen für Koalitionsverhandlungen.

© Britta Pedersen/dpa-ZB

Einstimmig für Sondierungsgespräche: Auf dem grünen Weg nach Jamaika

Die einen sehen eine Jamaika-Koalition als Gefahr für die Identität der Grünen - andere als Chance: Manche Parteilinke machen sich Sorgen, Kretschmann mahnt zu mehr Fantasie.

Beim Gedanken an Jamaika wird Lisa Paus mulmig. Die Berliner Grünen-Politikerin spricht das aus, was einige ihrer Parteikollegen seit der Bundestagswahl umtreibt: Steht das Überleben der Grünen auf dem Spiel, wenn die Partei sich auf eine Koalition mit CDU, CSU und FDP einlässt? „Wir haben nicht nur die Verantwortung, ernsthafte Sondierungsgespräche zu führen“, sagt die linke Flügelfrau an diesem Samstag beim kleinen Parteitag in Berlin. „Wir haben auch die Verantwortung, dass es die Grünen in vier Jahren noch geben wird.“

Winfried Kretschmann dagegen sieht die Grünen in der Pflicht: „Wir brauchen jetzt eine stabile Regierung“, ermahnt der baden-württembergische Ministerpräsident seine Parteifreunde. Für diejenigen, die noch hadern, hat er einen Rat. „Wenn Euch die Fantasie fehlt, geht in die Oper“, empfiehlt der baden-württembergische Ministerpräsident. „Die zeigen, wie man aus alten Stoffen unentwegt etwas Neues macht.“

Angst und Wagemut – das sind die Pole, zwischen denen die Grünen sich in diesen Tagen bewegen. Mehr als vier Stunden debattierte die Partei am Samstag über das, was mit den Jamaika-Verhandlungen jetzt auf sie zukommt. Verantwortung und Ernsthaftigkeit, das sind Stichworte, die immer wieder fallen. Aber es ist auch die deutliche Mahnung zu hören, die grünen Wurzeln nicht zu vergessen und die eigenen Wähler nicht zu enttäuschen.

Ein Aufstand gegen Jamaika bleibt allerdings aus. Am Ende beschließen die Grünen ohne Gegenstimmen, Sondierungsgespräche aufzunehmen. Die beiden Spitzenkandidaten Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir werden beauftragt, mit einem insgesamt 14-köpfigen Team in die Verhandlungen zu gehen. Es gebe „keinen Automatismus“ für eine Regierungsbeteiligung, heißt es in dem Papier. Doch den Anwesenden ist auch klar: Wer mit dem Verhandeln erst einmal anfängt, kommt so schnell nicht wieder raus.

So viele sind jetzt nervös – „da müssen wir doch nicht nervös sein“

Zu den Mutmachern an diesem Vormittag gehört Fraktionschef Anton Hofreiter vom linken Flügel. Auch er gehört zu den Verhandlern, die in den nächsten Wochen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner an einem Tisch sitzen werden. „Natürlich werden wir unsere Ideen nicht verkaufen“, versichert er den Anwesenden und der Parteibasis. Eine Botschaft, die sich vor allem an die Zweifel bei den Linksgrünen richtet. So viele Leute seien jetzt nervös, sagt Hofreiter – „da müssen wir doch nicht nervös sein“.

Mehr Gelassenheit fordert auch der Realo Tarek Al-Wazir, der vor drei Jahren in Hessen Schwarz-Grün verhandelt hat. Aus dieser Zeit hat er für die anstehenden Verhandlungen im Bund ein paar Tipps: Nerven behalten, Inhalte voranstellen, Disziplin, ein Vertrauensverhältnis zu den Partnern aufbauen, Ernsthaftigkeit, empfiehlt er. Rund 40 Prozent der Wähler hätten sich erst in der letzten Woche oder am Wahltag für die Grünen entschieden, sagt Al-Wazir – also zu einem Zeitpunkt, an dem die Alternative Jamaika oder Fortsetzung einer großen Koalition deutlich sichtbar gewesen sei. „Wir haben die verdammte Pflicht, das ernsthaft zu versuchen, mit dem Ziel des Gelingens und nicht des Scheiterns“, fordert er.

Doch es gibt auch Grüne wie Rhea Buchhaim aus Berlin, die trotzdem noch Zweifel haben. In Jamaika sieht sie „keine Chance, sondern eine Bürde“. An die Verhandler hat die Landespolitikerin eine klare Botschaft: „Führt uns nicht um jeden Preis in die Regierung. Dann werden viele von uns euch nicht folgen“, kündigt sie an. Sie findet es falsch, dass die Grünen-Führung derzeit keine Vorbedingungen für Gespräche festlegen will: „Definiert rote Linien“, fordert Buchhaim.

"Mit Lust" verhandeln - aber "keine Notlösung"

Als Katrin Göring-Eckardt wenig später ans Pult tritt, widerspricht sie der jungen Frauenpolitikerin. Es sei nicht nur eine „Bürde“, die Grünen würden den Auftrag der Wähler durchaus auch „mit Lust“ annehmen, sagt sie. Mehr Klimaschutz, mehr Europa, mehr soziale Gerechtigkeit – das sind die zentralen Versprechen der Grünen für Jamaika. Dass die Partei dabei auch zu Kompromissen bereit sein müsse, betont Göring-Eckardt ebenso wie ihr Ko-Fraktionschef Hofreiter. Diese müsse und werde man dann schließlich auch so benennen, fordert und verspricht sie. „Wir können nicht still im Kämmerlein Formelkompromisse beschließen.“

Um die Unruhe in der Partei nicht allzu groß werden zu lassen, verspricht Grünen-Chef Cem Özdemir, in den nächsten Wochen alle mitzunehmen. Früher stand er unter dem Verdacht, allzu großer Fan von Schwarz-Grün zu sein. „Niemand führt Separatgespräche, es gibt keine Parallelverhandlungen“, versichert er nun seiner Partei. Die Zeit, die CDU und CSU noch brauchen, um sich zu sortieren, wollen die Grünen nutzen, um mit verschiedenen gesellschaftlichen Akteuren ins Gespräch zu kommen: von den Umweltverbänden bis zu den Gewerkschaften.

Wie die Reise ins Ungewisse ausgeht, kann bei den Grünen im Moment keiner mit Sicherheit sagen. Jamaika sei aus der Not geboren, sagt der Kieler Umweltminister Robert Habeck. Und: „Wir müssen daran arbeiten, dass es keine Notlösung wird.“

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