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Die Gesetze machen langsame Fortschritte, ihr Praxistest ist der Alltag: Glaswand der Awo-Begegnungsstätte in Berlin-Kreuzberg.

© Jens Kalaene/dpa

Einwanderung in Deutschland: Auf dem Weg in die bunte Republik

Geduldete haben seit diesem Wochenende erstmals Sicherheit für ihr Leben in Deutschland. Internationale Studien loben die jüngsten Entwicklungen in der deutschen Migrationspolitik. Vieles bleibt allerdings Papier.

Während das politische Deutschland noch über die Notwendigkeit eines Einwanderungsgesetzes streitet, ist gerade wieder eines in Kraft getreten: Seit Samstag gilt das reformierte „Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung“.

Es bringt einerseits einen Durchbruch für die sogenannten „Geduldeten“, die hier ohne verbrieften Aufenthaltstitel leben, aber Deutschland nicht verlassen können oder dürfen. Wenn sie acht beziehungsweise sechs (Familien) oder vier Jahre (Jugendliche) hier gelebt haben, ausreichend Deutsch sprechen und selbst für ihren Lebensunterhalt sorgen können, dürfen sie auf Dauer bleiben – statt über Jahre hinweg täglich mit der Abschiebung zu rechnen und von allen Integrationsmöglichkeiten ausgeschlossen zu sein.

Einzelregelungen statt des großen Wurfs

Auf der anderen Seite eröffnet die Reform mehr Möglichkeiten, nicht berechtigte Asylbewerber abzuschieben. Es gibt eine neue Form der Ausreisehaft und ein- bis dreijährige Wiedereinreisesperren für Ausländer, die sich weigern, das Land zu verlassen.
Flüchtlingshilfsorganisationen der Kirchen und die Arbeitsgemeinschaft Pro Asyl begrüßten die Verbesserung der Lage von Geduldeten. Harte Kritik formulierten Pro Asyl, die evangelische Diakonie und der katholische Jesuiten-Flüchtlingsdienst aber am neuen Abschiebe-Regime.

Diese jüngste Reform folgt der deutschen Logik der Einwanderungsgesetzgebung, die ihre Kritiker – darunter auch hochrangige CDU-Politiker wie Nordrhein-Westfalens Parteichef Armin Laschet und Angela Merkels Generalsekretär Peter Tauber – beenden möchten: Die Regelung von Migration in verstreuten Einzelgesetzen statt aus einem Guss. Sie versprechen sich einen weiteren Schub für die Einwanderungsgesellschaft und ihre Willkommenskultur, - nicht zuletzt dadurch, dass ein Gesetz sich klar zu ihr bekennt. Gegner wie Bundesinnenminister Thomas de Maizière dagegen fürchten ein „jahrelanges Gesetzgebungsverfahren“ und verweisen darauf, dass die Einwanderungsregeln schon jetzt laufend flexibler würden.

Gegen Diskriminierung tut Deutschland wenig

Tatsächlich kam in letzter Zeit auch internationales Lob für die Entwicklung der deutschen Migrationspolitik. Der jüngste „Migrant Integration Policy Index“ (Mipex), der die Anstrengungen der EU-Länder und von zehn weiteren Industriestaaten misst, gab Deutschland Anfang Mitte Juni Platz 10 unter den 38 untersuchten Ländern und lobte, es sei „eines der wenigen entwickelten Länder, in denen sich die Haltung gegenüber Einwanderern verbessert“.

Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung meinten zum Beispiel, dass Europäer und Nichteuropäer gleiche Rechte haben sollten. Deutschland, so die EU-Experten, mache „langsame, aber sichere Fortschritte dabei, gleiche Rechte und Integrationshilfen zu geben“. Es brauche hierzulande Zeit, weil im deutschen föderalen System erst Konsens hergestellt werden müsse.

Aber, so der Kommentar des Mipex-Experten bei der Vorstellung des Berichts, die Fortschritte seien dann auch haltbar und nachhaltig. Bestnoten vergab Mipex für die Verbesserungen der Arbeitsmarktintegration, sah allerdings schwache Leistungen bei Bildung, Gesundheit und im Einsatz gegen Diskriminierung.

Parallelgesellschaft? Die Milieus sind stark gemischt

Auch die Studie der OECD zur Lage von Migranten in ihren 37 hochindustrialisierten Mitgliedsländern sah Deutschland im besten Drittel jener Länder, deren Migranten relativ seltener arbeitslos sind – Ergebnis wohl der guten deutschen Konjunktur. Auch praktische Integration in „gemischten Haushalten“ führte die OECD auf: In Deutschland ist mit mehr als 40 Prozent der Anteil der Migranten besonders hoch, die Familien mit Herkunftsdeutschen gründen oder in sie hineingeboren wurden. Die Studie führt das auf die lange Sesshaftigkeit der meisten Migranten in Deutschland, Frankreich oder den Niederlanden zurück.

Fraglich bleibt, wie und wann die so bewerteten Gesetze wirksam sind: Deutsche Migrationspraktiker kritisierten bei Vorstellung der Mipex-Studie, sie schaue auf kodifiziertes Recht, Gesetze und Verordnungen, aber wenig auf die Realität. Tatsächlich zeigten erst kürzlich die dramatisch niedrigen deutschen Einbürgerungszahlen und die starken Unterschiede der Bundesländer, dass Traditionen und Verwaltungspraxis entscheidend sind und das offenere Staatsbürgerschaftsrecht neutralisieren können.

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