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Reale Probleme und irrationale Ängste liegen beim Thema Einwanderung eng beieinander.

© dpa

Einwanderung: Sarrazins Thesen sind für SPD und Union kreuzgefährlich

Noch gibt es keine erfolgreiche rechtspopulistische Partei in Deutschland, doch mit dem Thema Islam könnte sie schnell erfolgreich sein. Die etablierten Parteien reagieren hilflos. Eine Analyse.

Zum Islam hat Geert Wilders eine klare Meinung. Er hält die Religion für eine „faschistische Ideologie“. Er will den Koran verbieten und die Einwanderung aus islamischen Ländern „untersagen“. Die radikalen islamophoben Thesen des Rechtspopulisten werden in den Niederlanden seit fünf Jahren erregt diskutiert. Es gab Demonstrationen gegen Wilders, er stand wegen Volksverhetzung vor Gericht, in Großbritannien wurde ihm wegen Gefahr für die öffentliche Sicherheit die Einreise verweigert. Doch seinen politischen Aufstieg konnte all dies nicht verhindern. Bei der niederländischen Parlamentswahl am 9. Juni 2010 kam Wilders mit seiner Partei für die Freiheit auf 15,5 Prozent.

Die deutschen Parteien blicken mit großer Sorge in das Nachbarland. Denn wie dort könnte auch in Deutschland ein Rechtspopulist die Parteinlandschaft aufmischen. Die aufgeregten Debatten um die Thesen von Thilo Sarrazin zeigen, wie groß das Erregungspotenzial dieses Themas ist und wie groß dessen politische Sprengkraft. Vor allem für Union und SPD ist diese Entwicklung kreuzgefährlich, denn der Riss geht beim Thema Einwanderung und Islam quer durch die beiden Parteien.

Zunächst scheint Sarrazin vor allem die SPD in Bedrängnis zu bringen. Der Parteivorstand hat am Montag beschlossen, ihn aus der Partei werfen zu wollen. Dieser habe sich mit seinen Behauptungen über eine genetische Disposition von Juden und anderen Bevölkerungsgruppen endgültig „außerhalb der SPD und ihren Werten“ gestellt, so Parteichef Sigmar Gabriel. Rassenideologie und sozialdarwinistischen Thesen dürften keinen Platz in der SPD haben.

An der Basis von Union und SPD stößt Sarrazin auf Zustimmung

Doch an der Basis der SPD wird dies zumindest teilweise ganz anders gesehen. Dort bekommt Sarrazin viel Zuspruch, in der Wählerschaft auch. An der Basis von CDU und CSU sieht es vermutlich nicht viel anders aus. Beide Parteien dürften heilfroh sein, dass sich die politische Konkurrenz mit dem Thema herumschlagen muss. Die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel hat sich frühzeitig von Sarrazin distanziert. Doch jede Schadenfreunde ist fehl am Platze, denn ihre Partei steht vor demselben Dilemma. Auch in der Union stoßen die Sarrazin-Thesen auf breite Zustimmung.

Um die Themen Einwanderung und Islam hat sich in den letzten Jahrzehnten ein gesellschaftlicher Großkonflikt entwickelt. Bei ihm geht es längst mehr als um die Frage, wie viel Einwanderung Deutschland braucht, wie die zweite Generation besser integriert werden kann und ob Immigranten ihre Ehefrauen aus den Heimatländern nachholen dürfen. Es geht längst nicht mehr um reale Fehlentwicklungen, auf die auch Sarrazin zu Recht hinweist, sondern um irrationale Ängste, die der umstrittene Buchautor mit seinem biologistischen Weltbild vor allem schürt. Der Konflikt hat sowohl eine nationale als auch eine internationale Dimension, einerseits heißt es Inländer gegen Einwanderer, andererseits Westen gegen Islam. Längst hat sich dieser ideologisiert, längst ist er so emotional aufgeladen, dass ihm mit Realpolitik und einer vernunftgeleiteten Debatte kaum beizukommen ist. Der Konflikt spaltet die Bevölkerung, und er spaltet die Anhängerschaft der großen Parteien. Rechtspopulisten in vielen europäischen Ländern haben sich dies zunutze gemacht, und überall standen die alten Parteien deren Parolen und deren Wahlerfolgen hilflos gegenüber.

Deutschland kann sich der europäischen Entwicklung nicht entziehen

Nichts spricht dafür, dass sich Deutschland dieser Entwicklung dauerhaft entziehen kann. Zumal, wie auch die Diskussion um Sarrazin zeigt, die Kluft, die sich in dieser Frage zwischen den gesellschaftlichen Eliten und Teilen der Bevölkerung, zwischen den politischen Repräsentanten und ihren Anhängern auftut, groß ist. Zudem gibt es auf der anderen Seite relevante Bevölkerungsgruppen, die auf Integration drängen, auf Religionsfreiheit pochen und auf mehr Einwanderung. Zudem sind auch deutsche Muslime mittlerweile eine politisch relevante Bevölkerungsgruppe. Gleichzeitig müssen sich die etablierten Parteien um die praktischen Probleme bei der Integration kümmern, müssen die bundesdeutsche Einwanderungsgesellschaft, die ja Realität ist, gestalten, müssen Integrationspläne erstellen, den Bau von Moscheen verteidigen. Zudem sind sie an die Verfassung, internationale Vereinbarungen und europäisches Recht gebunden. Die Möglichkeiten, den Rechtspopulisten rhetorisch und politisch das Wasser abzugraben, sind daher begrenzt.

Vor zwei Jahrzehnten war das noch anders. Als damals die Republikaner in Berlin und Baden-Württemberg in zwei Landtage und in das Europaparlament eingezogen waren, da konnten die etablierten Parteien die Gesellschaft noch mobilisieren und die Rechtsaußen-Partei noch zurückdrängen. Da waren die Parteienbindungen der Wähler noch so stark, dass der Höhenflug der Republikaner schnell beendet war. Die Union polemisierte gegen Asylanten, konservative Politiker griffen zu einer Sprache, die sich kaum von der des Rep-Chefs Schönhubers unterschied. Gemeinsam mit der SPD wurde zugleich das Grundrecht auf Asyl gestutzt. Mittlerweile jedoch haben Union und SPD einerseits die politische Integrationskraft verloren, um diesen gesellschaftlichen Konflikte zu befrieden und die divergierenden Interessen zu integrieren. Andererseits hat sich der Konflikt derart ausgeweitet, dass ihm mit geänderter Rhetorik, ein paar neuen Gesetzen oder einer spektakulären Abschiebung nicht mehr beizukommen ist.

Gegen Populisten ohne Chance

Sowohl SPD als auch Union stehen dieser Entwicklung hilflos gegenüber. Beide Parteien könnten dabei verlieren. Als der Rechtspopulist Schill 2001 mit ausländerfeindlichen Parolen in die Hamburger Bürgerschaft einzog, da kostete dies die SPD das Rathaus. In den Niederlanden hingegen hatten vor allem die Christdemokraten unter dem Aufstieg von Geert Wilders zu leiden. Jahrzehntelang waren diese die stärkste politische Kraft des Landes und an den meisten Regierungen beteiligt. Bei der Wahl im Juni verloren sie mehr als jeden zweiten Wähler, stürzten auf 13,6 Prozent ab und sind jetzt nur die viertstärkste Partei im niederländischen Parlament.

Ein wichtiger Grund dafür, dass rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien in Deutschland sich anders als in vielen Nachbarländern bislang nicht durchsetzen konnten, liegen in dem antinationalsozialistischen Grundkonsens der bundesdeutschen Gesellschaft. In dem festen Willen, aus der verbrecherischen deutschen Vergangenheit zu lernen. Doch auch hier zeigt Geert Wilders in den Niederlanden, wie sich selbst Rechtspopulisten diesen Grundkonsens zu Nutze machen können. Um sich vom alten Rechtsextremismus und Antisemitismus abzugrenzen, hat dieser enge politische Beziehungen nach Israel geknüpft. Für ihn ist Israel die Speerspitze im Kampf gegen die Islamisierung. Er unterstützt Israel im Kampf gegen die Palästinenser und warnt, wenn Israel diesen Krieg verliert, „dann ist der Westen als nächstes dran.“ Die Verknüpfung von Islamfeindschaft und Philosemitismus könnte dem Rechtspopulismus auch in Deutschland endgültig zum Durchbruch verhelfen.

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