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Politik: Einwirken ja, drohen nein

Berlin reagiert zurückhaltend auf Forderungen, Kabul wegen des Christen-Prozesses unter Druck zu setzen

Von Robert Birnbaum

Berlin - Der Fall des Afghanen Abdul Rahman, dem in Kabul wegen Übertritts zum Christentum die Todesstrafe droht, hat eine Welle von Appellen und Mahnungen an die afghanische Führung ausgelöst. Von Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich am Mittwoch im Kabinett besorgt über den Vorgang äußerte, über den UN-Sondergesandten für Afghanistan, Tom Koenigs, bis zu den Vertretern der Glaubensgemeinschaften in Deutschland appellierten alle an die afghanische Führung, ihre selbst eingegangenen Verpflichtungen auf die Menschenrechte und die Religionsfreiheit zu achten. Vereinzelt wurden Drohungen mit Sanktionen laut – die sich Vertreter der afghanischen Regierung umgehend als Einmischung in innere Angelegenheiten verbaten. Wirtschaftsminister Amin Farhang versicherte freilich zugleich, dass Abdul Rahman nichts geschehen werde.

Auslöser des Falls scheint ein Familienstreit zu sein. Rahman, der offenbar längere Zeit in Deutschland gelebt hat und als Mitarbeiter einer Hilfsorganisation schon vor 16 Jahren zum Christentum übertrat, ist von seiner Familie angezeigt worden. Auf Abkehr vom Islam steht in Afghanistan als Höchststrafe der Tod.

Die Bundesregierung ist seit Tagen in den Fall eingeschaltet. Am Mittwoch erhob FDP-Chef Guido Westerwelle als erster deutscher Politiker den Ruf, dass die Führung in Kabul mit drastischen Folgen für den Fall bedroht werden müsse, dass der Konvertit verurteilt oder sogar hingerichtet werden sollte. „Wir senden keine Soldaten nach Afghanistan, um ein solches Unrecht zu sichern“, sagte Westerwelle dem „Reutlinger Generalanzeiger“. Auch die Sprecherin der Union für Menschenrechte, Erika Steinbach (CDU), findet die Frage nach dem Verbleib der Soldaten in diesem Fall legitim. Wenn Abdul Rahman tatsächlich zum Tode verurteilt werden sollte, „dann muss das auch für Deutschland Konsequenzen haben“, sagte sie dem Tagesspiegel. Steinbach erinnerte an die „nicht unerheblichen Leistungen“ für den Aufbau des Landes und den Einsatz der Bundeswehr. Ob diese Hilfsleistungen bestehen bleiben könnten, „die Frage muss man sich stellen“.

Genau das wollen die meisten führenden Politiker der Regierungskoalition aber nicht. Ein Sprecher von Außenminister Frank-Walter Steinmeier betont, zwischen der deutschen Aufbauhilfe für Afghanistan und diesem Fall sehe die Regierung „keinen Zusammenhang“. Schließlich, so das Argument, ist diese Hilfe keine bloße Wohltat, sondern entspringe deutschem Interesse an einem stabilen Land am Hindukusch. Der für Menschenrechte zuständige Fraktionsvize der Union, Arnold Vaatz (CDU), warnt ausdrücklich vor dem Ruf nach Abzug von Hilfen oder gar Truppen. Es sei eine „schwere Verletzung der Menschenrechte“, einen Menschen wegen seiner Religion zu verfolgen und mit dem Tode zu bedrohen. „Das muss von allen demokratischen Staaten schärfstens verurteilt werden“, sagte er. „Jetzt mit einem Abzug von Hilfen zu drohen, halte ich aber für falsch.“ Der Westen müsse aufpassen, dass er nicht im Konflikt zwischen Gemäßigten und Fundamentalisten in der islamischen Welt der falschen Seite Argumente liefere. Ebenso Christoph Straesser, Sprecher der SPD-Fraktion für Menschenrechte. „Wir müssen alles tun, um die Verhängung der Todesstrafe zu verhindern“, sagt er. Gleichzeitig müsse Präsident Hamid Karsai der Rücken gestärkt werden. Denn der stehe unter enormem Druck der Fundamentalisten.

Einwirken ja, drohen nein – eine Linie, die auch der Zentralrat der Muslime in Deutschland für richtig hält. Generalsekretär Aiman Mazyek sagt dem Tagesspiegel: „Wir bedauern jeden, der vom islamischen Glauben abfällt, akzeptieren aber auch das Recht, die Religion zu wechseln.“ Der Zentralrat wirke derzeit auf die afghanische Justiz ein. Eine Verurteilung zum Tode hält Mazyek für unwahrscheinlich: „Selbst bei strenger Auslegung bietet das islamische Recht viel Spielraum.“ Den scheint das Gericht in Kabul inzwischen auch entdeckt zu haben. Man prüfe, ob der Angeklagte zurechnungsfähig sei. Kommen die Richter zu dem Schluss, dass Abdul Rahman als psychisch krank zu betrachten ist, wäre der ganze Prozess hinfällig – er wäre dann nicht schuldfähig.

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