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Demonstranten auf dem bundesweiten "Aktionstag Umverteilen"

© dpa

Elite und Steuern: "Früher Reichtum verstärkt Abneigung gegen Finanzamt"

Kindheit prägt: Je reicher Menschen aufwuchsen, desto weniger sind sie bereit, Steuern zu zahlen. Warum das so ist, und was das bedeutet, erläutert der Elitenforscher Michael Hartmann.

Vor einem Jahr veröffentlichte der Darmstädter Elitensoziologe Michael Hartmann die Ergebnisse seiner Studie über die 958 mächtigsten und einkommensstärksten Männer und Frauen in Wirtschaft, Politik, Verwaltung, Justiz, Medien und Wissenschaft, sozusagen der oberen Tausend der deutschen Gesellschaft („Soziale Ungleichheit – Kein Thema für die Eliten?“). Jetzt hat er sich die Daten noch einmal für eine Feinanalyse zum Thema Steuern vorgenommen.

Herr Hartmann, dass die Großbürgerkinder unter den Elitenangehörigen eine stärkere Aversion gegen Steuern haben als die Aufsteiger aus dem Arbeiter- und Kleinbürgermilieu, haben Sie bereits beschrieben. Was ist neu?

Ich habe mir diesmal nur die bürger- und großbürgerlichen Elitenangehörigen angesehen und festgestellt, dass die Abneigung gegen Steuern steigt, je besser gestellt die Familien waren, in denen die Befragten aufwuchsen. Da gibt es sogar noch Unterschiede zwischen den Wohlhabenden und den richtig Reichen. Am skeptischsten gegen Steuern sind die, deren Eltern große Unternehmen besaßen, Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied in solchen Firmen waren oder reiche Ärzte und Anwälte. Dass die Kinder kleiner Leute anders denken, auch wenn sie längst zur Elite gehören, ist vielleicht nicht so überraschend. Die Differenzierung am oberen Ende aber bestimmt: Sieht man sich die Bürger- und Großbürgerkinder insgesamt an, sind gut 57 Prozent gegen höhere Steuern. Unter den Großbürgerkindern allein sind es noch einmal fünf Prozent mehr, unter den Nachkommen der wirklich Reichen allerdings fast 72 Prozent, eine knappe Dreiviertelmehrheit. Nur jeder neunte dagegen ist anderer Meinung.

Elitensoziologe Michael Hartmann
Elitensoziologe Michael Hartmann

© privat

Welche Argumente hat Ihre Klientel dafür?

Die Haltung ist, fast unisono: Das ist hart erarbeitetes Geld, das uns der Staat da wegnimmt. Und tatsächlich haben sie ihre Eltern, meist die Väter, ja auch in 60- oder 70-Stunden-Wochen erlebt oder das ist zumindest Teil der Familienerzählung. Das zweite verbreitete Argument ist: Der Staat kann nicht mit Geld umgehen, das können wir selbst besser – richten wir doch lieber Stiftungen damit ein als Steuern zu zahlen.

Hat diese Haltung vielleicht auch damit zu tun, dass Reiche weniger Nutzen in Steuern sehen? Sie können sich Privatkliniken und -schulen leisten.

Das kommt dazu. Ganz sicher haben nicht sie, sondern die Generation der Aufsteiger die Erfahrung gemacht, dass sie ohne öffentliche Infrastruktur nicht solche Möglichkeiten gehabt hätten – vor allem wenn sie in den goldenen Jahren der Bildungsexpansion in den 60er und 70ern aufgewachsen sind. Allerdings schicken auch Reiche in Deutschland ihre Kinder gern auf öffentliche Schulen, des Distinktionsgewinns wegen zum Beispiel gern auf altsprachliche Gymnasien. Und sie gehen in öffentliche Krankenhäuser, dort allerdings auf Privatstationen. Man nutzt staatliche Infrastruktur, aber nicht im Bewusstsein, dass man sie wirklich benötigt.

Welche politischen Folgen hat das aus Ihrer Sicht?

Dass die, die es sich leisten können, sich aus den Solidarsystemen verabschieden. Dort fehlt dann massiv Geld für eine öffentliche Infrastruktur, auf die die weiter unten desto stärker angewiesen sind. Allein die 65 reichsten Deutschen konnten durch die rot-grünen Steuersenkungen über zwei Milliarden pro Jahr sparen, im Schnitt 34 Millionen Euro pro Nase. Das ist Geld, das fehlt. Als Ausweg gelten dann absurde Sonderabgaben wie sie Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Albig jetzt vorgeschlagen hat: Eine Autofahrerabgabe, um die maroden Straßen zu sanieren.

Dagegen gibt es gerade heftigen Widerstand.

Zu Recht. Man muss Albig allerdings zugute halten, dass er auf den Zustand der öffentlichen Infrastruktur aufmerksam gemacht hat.

Zurzeit macht das Buch eines französischen Ökonomen Furore. Thomas Piketty weist teils über Jahrhunderte nach, dass Erben stets seliger als selbst Geldverdienen war und dass große Vermögensungleichheit Wachstum sogar bremst. Ist die Begeisterung vor allem in der englischsprachigen Welt Zeichen eines Umschwungs?

Das könnte es sein. Pikettys Zahlen liegen ja seit praktisch einem Jahrzehnt vor, ich selbst habe mir die ersten 2002 besorgt. Übrigens stimmt nicht ganz, dass erst nach dem Krieg eine Phase größerer Gleichheit eintrat. Schon seit Mitte der 30er Jahre wurden die Steuern auf großen Besitz in Großbritannien, Frankreich und den USA angehoben und damit Ungleichheit zumindest am obersten Ende reduziert. Deutschland war die Ausnahme: Unter den Nazis hat das oberste Prozent seinen Anteil am Gesamteinkommen um fast 50 Prozent erhöht, das wurde erst nach 1945 anders.

Und warum schaut man jetzt neu auf bekannte Zahlen?

Die Finanzkrise hat den Glauben an die Weisheit der Märkte und die angebliche Unfähigkeit des Staates sehr erschüttert. Schließlich war er es, der die „Märkte“ mit irrsinnigen Summen retten musste. Und damit vor allem das Geld jenes einen Prozents, dem in Deutschland 36 Prozent der Vermögen gehört. Diese Veränderung hat Konsequenzen für die Politik, sie kann sich dem nicht mehr entziehen.

Was meinen Sie?

Nehmen Sie den Mindestlohn, trotz aller Ausnahmen. Selbst die Bankenregulierung kommt, wenn auch zäh, auf den Weg. Vor ein paar Jahren wäre das auf EU-Ebene nicht einmal vorstellbar gewesen, jetzt sind Österreich und Luxemburg dabei. Das Bankengeheimnis in Europa ist am Ende. Wo man noch keine Änderung sieht, ist allerdings die Steuerpolitik.  

Ist das Steuerverfahren gegen Uli Hoeneß nicht ein Zeichen für einen Stimmungsumschwung auch da?

Ja, aber ein noch deutlicheres ist für mich der Fall Wolfgang Porsche. Altes Geld mit exzellenten Beziehungen in die Politik. Porsche hat nicht einfach Geld in die Schweiz verschoben, sondern einen steuersparenden Umzug nach Österreich halboffiziell und diskret mit den deutschen Behörden regeln wollen. Vor ein paar Jahren wäre so etwas mit hoher Wahrscheinlichkeit durchgegangen – wie 2006 im Fall einer der reichsten deutschen Familien, der Benckiser-Erben Reimann - und das wäre bestenfalls eine kleine Nachricht im Wirtschaftsteil gewesen. Jetzt berichtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung groß und prominent darüber, was Porsche vorhatte. Und die beteiligten Finanzministerien scheuen den Deal.

Das heißt, die Politik kann handeln, vielleicht auch eine andere Steuerpolitik machen?

Natürlich kann sie das. Vorausgesetzt, sie hat den ernsthaften Willen und Druck aus der Bevölkerung. In England und den USA haben das sogar Elitenangehörige selbst gemacht. Churchill und Kennedy waren reiche Leute und die Spitzensteuersätze lagen dort zu ihrer Regierungszeit bei über 90 Prozent.

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