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Politik: Eltern, schaut auf diese Stadt

NEUES SCHULGESETZ

Von Susanne ViethEntus

Rentenloch, Sozialabbau und Bildungskrise – mit ein wenig Fantasie lässt sich die Bundesrepublik als Abbruchunternehmen vorstellen. Positive Denker könnten auch sagen: Das Leben in der Bundesrepublik ist eine Baustelle. Es ist laut und unordentlich, aber es entsteht was Neues. Zum Beispiel in Berlin. Die Stadt will sich am heutigen Donnerstag für ein neues Schulgesetz entscheiden und ihren eigenen Weg aus der Bildungskrise finden.

In Berlin muss man sich darunter mehr vorstellen als „nur“ Pisa. Man hat es hier zu tun mit Stadtteilen, in denen acht von zehn Erstklässlern schlecht Deutsch sprechen. Mit Gesamtschulen, die das Niveau von Hauptschulen haben, und mit Hauptschulen, die ein Jammertal sind. Mit tausenden Jugendlichen, die ohne Schulabschluss ins berufliche Nichts stürzen. Mit Schulen, die zwischen Bezirks- und Bildungsbürokraten zerrieben werden.

Aber Berlin hat auch ein wenig Glück. Die Stadt war Ende der neunziger Jahre gerade dabei, sich zu einem neuen Schulgesetz aufzuraffen, als Pisa über das Land rollte. So ergab sich die Möglichkeit, die Lehren aus dem schlechten deutschen Abschneiden bei der Bildungsstudie in das Gesetz mit aufzunehmen. Berlin musste nicht bereits beschlossene Korrekturen „nachbessern“ wie alle anderen Bundesländer, sondern konnte eine Reform aus einem Guss entwerfen. Jedenfalls soweit es die politischen Konstellationen erlaubten. Und die erlaubten – angefeuert durch Pisa – mehr als üblich.

So wird Berlin jetzt den Beginn der Schulpflicht von sechs auf fünfeinhalb Jahre absenken, um die aufnahmefähigste Phase der Kinder besser zu nutzen. Die Stadt wird unreife Schüler nicht mehr zurückstellen, sondern gleich in der Schule fördern lassen. Sie wird das Sitzenbleiben nur noch als letztes pädagogisches Mittel zulassen und das Abitur schon nach zwölf Jahren ermöglichen. Dies spart Lebenszeit und ist damit schon an sich zu begrüßen.

Den ausländischen Kindern wird geholfen, indem man sie schon vor der Einschulung zu einem Sprachkurs verpflichtet, falls die Deutschkenntnisse nicht ausreichen – das ist einzigartig in Deutschland. Und sie werden nur dann in die dritte Klasse versetzt, wenn sie die sprachlichen Voraussetzungen erfüllen. So wird auch den Eltern der Stellenwert der Sprache deutlich gemacht.

Berlins rot-rote Regierungskoalition hat ihre Hausaufgaben gemacht. Sie hat etliche Pisa-Lehren durchdekliniert und dabei auch die Ganztagsschulen und zentrale Prüfungen zur Sicherstellung der Leistungsstandards nicht vergessen. All das ist jetzt als Gesetzesgrundlage da und muss nur mit Praxis gefüllt werden.

Ob das klappt? Das muss man abwarten. Zur Praxis gehören eben auch die schlechten Rahmenbedingungen der Schulen. Die meisten Kollegien haben keine jungen Lehrer. Und die vorhandenen sind demotiviert durch den Senat, der die Lehrer bei den letzten Tarifverhandlungen schlechter gestellt hat als alle übrigen Beamten. Sie sind entsetzt, weil man ihnen technische Hilfskräfte nimmt. Sie werden bevormundet bei jedem Euro, den sie ausgeben wollen.

Aber auch hier ist Abhilfe in Sicht. Das neue Gesetz ermöglicht den Schulen mehr Selbstständigkeit. Sie können ihr Budget künftig in Eigenregie verwalten. Sie können entscheiden, ob sie statt eines Lehrers drei Teilzeitkräfte einstellen, die sich um die Computer, die Bibliothek und die Schulstation kümmern.

Dennoch bleibt viel zu tun: eine leistungsbezogene Besoldung der Lehrer, eine bessere Förderung der Privatschulen und ein ordentliches Unterrichtsfach für Religion- und Werteerziehung. Ringt sich der Senat auch dazu durch, wäre Berlin beinahe vorbildlich.

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