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FDP-Chef Christian Lindner nach seinem Statement zum Scheitern der Jamaika-Sondierungen in seinem Auto.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Update

Ende der Sondierungen: Jamaika gescheitert - Regierungsbildung unklar

Vorsichtiger Optimismus, widersprüchliche Signale, plötzliches Ende: Die FDP hat die Jamaika-Verhandlungen abgebrochen. Dabei sei eine Einigung "zum Greifen nahe" gewesen. Nun ist die Regierungsbildung offen.

Nach stundenlangen Verhandlungen hat die FDP kurz vor Mitternacht die Jamaika-Sondierung abgebrochen und damit eine politische Krise in Deutschland ausgelöst. "Es ist besser nicht zu regieren als falsch zu regieren", sagte Parteichef Christian Lindner am späten Sonntagabend in Berlin zur Begründung. "Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht mitverantworten." Union, FDP und Grünen hätten trotz wochenlanger Gespräche "keine gemeinsame Vorstellung von der Modernisierung unseres Landes und vor allen Dingen keine gemeinsame Vertrauensbasis" entwickelt.
Die Grünen kritisierten den Abbruch. Der Grünen-Politiker Reinhard Bütikofer schrieb am Sonntagabend auf Twitter über FDP-Chef Lindner: „Er wählt seine Art von populistischer Agitation statt staatspolitischer Verantwortung.“

Bundeskanzlerin Angela Merkel bedauerte den Abbruch der Gespräche. Für die Unionsparteien sagte sie: "Wir glauben, dass wir auf einem Pfad waren, bei dem wir hätten eine Einigung erreichen können." CSU-Chef Horst Seehofer hat nach eigenen Worten mit einem positiven Sondierungsergebnis gerechnet. "Es ist schade, dass es am Ende nicht gelungen ist, dies zum Ende zu führen, was zum Greifen nahe war."

Regierungsbildung wieder völlig offen

CDU, CSU, FDP und Grüne hatten am Sonntag einen letzten Versuch unternommen, sich auf die Grundzüge eines gemeinsamen Regierungspapiers zu einigen. Unions-Politiker äußerten sich am Abend noch optimistisch, dass eine Einigung gelingen könnte. Aber dann trat Lindner zusammen mit der Führungsspitze der Liberalen vor die Kameras. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierung ist völlig offen, wie eine Regierungsbildung weiter verlaufen könnte. Die SPD hatte in den vergangenen Tagen immer wieder betont, dass sie nicht für die Bildung einer neuen großen Koalition zur Verfügung stehe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wiederum hatte die Parteien in Deutschland an die Verantwortung erinnert, eine Regierung zustande zu bringen.

FDP fühlt sich nicht ausreichend repräsentiert

Nach Wochen liege ein Verhandlungspapier "mit zahllosen Widersprüchen, offenen Fragen und Zielkonflikten vor", erklärte Lindner. "Dort, wo es Übereinkünfte gibt, sind diese Übereinkünfte erkauft mit viel Geld der Bürger oder mit Formelkompromissen." Der FDP-Chef stellte klar: "Den Geist des Sondierungspapiers können und wollen wir nicht verantworten." Die FDP sehe in dem Papier ihren Einsatz für die Freiheit des Einzelnen nicht ausreichend repräsentiert. "Und wir haben heute, an diesem entscheidenden Tag, nicht den Eindruck gewonnen, obwohl allen die Dramatik der Situation bewusst war, dass dieser Geist grundlegend veränderbar gewesen wäre", sagte Lindner. Die von der FDP geforderten "Trendwenden" seien nicht erreichbar gewesen in den Gesprächen mit CDU, CSU, FDP und Grünen. Die FDP-Delegation verließ daraufhin den Verhandlungsort.

Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin sieht nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen eine "schwierige" Lage. "Das ist klar, dass wir in einer Situation sind, in der das Land zum ersten Mal mit einer geschäftsführenden Regierung lange Zeit wird leben müssen", sagte Trittin am frühen Montagmorgen. "Es sei denn, die SPD kommt aus der Politikverweigerung raus." Gleichzeitig stelle sich die Frage, "wie man sich angesichts der Herausforderung durch die AfD aufstellt", fügte er hinzu. "Insofern kommen jetzt keine leichten Zeiten auf einen zu."

Widersprüchliche Signale

Bei den Verhandlungen in der baden-württembergischen Landesvertretung hatte es davor widersprüchliche Signale gegeben. Einerseits hieß es, es stehe "spitz auf Knopf". Andererseits gab es Berichte über eine Einigung beim Thema Finanzen und weitgehende Einigungen etwa beim Thema Klima. Der CSU-Wirtschaftspolitiker Hans Michelbach sorgte kurz vor dem Abbruch für Verwirrung, als er die Einigung auf eine Abschaffung des Solidaritätszuschlags bis 2021 verkündete. Die Grünen hätten zudem einer Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer zugestimmt. Wenige Minuten später widerrief Michelbach allerdings seine Aussagen. FDP-Generalsekretärin Nicola Beer hatte zuvor zur Vorsicht gemahnt. In den vergangenen Wochen war immer wieder spekuliert worden, ob die FDP die Verhandlungen würde platzen lassen.

Wirtschaft: Scheitern der Jamaika-Gespräche ist „Enttäuschung"

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag befürchtet nach dem Scheitern der Gespräche für eine Jamaika-Koalition eine „längere Phase der Unsicherheit“. DIHK-Chef Eric Schweitzer teilte am frühen Montagmorgen in Berlin mit: „Für die deutsche Wirtschaft ist das Scheitern der Sondierungsgespräche eine Enttäuschung. Denn damit wird eine Chance verpasst, ideologische Grenzen zu überwinden und sachgerechte Lösungen zu finden.“ Es bestehe die Gefahr, dass jetzt die Arbeiten an wichtigen Zukunftsthemen lange verzögert würden. Schweitzer hat jedoch noch Hoffnung: „Aber der DIHK vertraut darauf, dass alle verantwortungsbewussten Akteure am Ende doch noch zu vernünftigen Kompromissen fähig sind.“ Wen er damit genau meint, erläuterte der DIHK-Präsident nicht. (AFP/Reuters/dpa)

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