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Politik: Ende einer Ära

Vier Jahrzehnte lang hat die SPD die Politik in Nordrhein-Westfalen dominiert

Man muss als Westfale oder Rheinländer schon gut fünfzig Jahre alt sein, um sich an Zeiten erinnern zu können, als die SPD das Land nicht regierte. Seit 1966 stellten die Sozialdemokraten den Ministerpräsidenten im größten Bundesland. Nach 39 Jahren ist die Erfolgsgeschichte am Sonntag zu Ende gegangen. Sie hatte nach der Landtagswahl 1966 begonnen. Erstmals war die CDU hinter die SPD gerutscht, die FDP wechselte die Seite und wählte den Sozialdemokraten Heinz Kühn zum Regierungschef. Die sozialliberale Koalition in Düsseldorf war ein Auftaktsignal für den Wechsel im Bund drei Jahre später. Sozialliberal ging es weiter bis 1980, als Kühns Nachfolger Johannes Rau die SPD zu neuen Höhen führte und bis 1995 SPDAlleinregierungen anführen konnte. Seither amtierten rot-grüne Bündnisse.

Alle SPD-Ministerpräsidenten standen vor der gleichen Aufgabe: den Übergang der klassischen Industrieregion Rhein- Ruhr ins nachindustrielle Zeitalter zu gestalten. Und dort, zwischen Duisburg und Dortmund, lebte auch die Stammwählerschaft der Sozialdemokraten, die Kohlekumpel und Fabrikarbeiter. Bis weit in 60-Prozent-Regionen kam die SPD hier in ihren besten Zeiten. Und musste doch daran gehen, angesichts des Niedergangs von Kohle und Stahl die eigene Kernklientel kleiner zu machen. Freilich wurde der Übergang in NRW „weicher“ gestaltet als anderswo, etwa in England, wo es zu scharfen Auseinandersetzungen kam. Und wer hätte das besser gekonnt als Johannes Rau, der 1978 Ministerpräsident wurde und es zwei Jahrzehnte blieb. Von 1977 bis 1998 führte er auch die Landes-SPD. Rau war der große Integrator, der Mann des Ausgleichs, ideologischen Debatten ebenso abhold wie schnellen Entscheidungen. Er bekannte einmal, im Kabinett niemals von seiner Richtlinienbefugnis Gebrauch gemacht zu haben. Er war mehr als Bruder Johannes, wie man ihn wegen seiner Konsensliebe nannte. Er war Papa Rau, der Land und Partei führte. So bekam SPD-Politik etwas Familiäres. Als der Papa langsam zum Opa wurde, aber darin keinen Grund für einen Rückzug erkennen mochte, wurden die jüngeren SPD-Politiker etwas nervös. Allen voran Wolfgang Clement, der immer deutlicher zum Wechsel drängte. 1998 war es soweit, als Rau Bundespräsident wurde.

Das Familiäre wird auch an den Karrieren von Raus Nachfolgern deutlich. Clement und Peer Steinbrück wurden unter ihm politisch groß: Clement diente von 1989 bis 1995 als Staatskanzleichef bei Rau, Steinbrück war 1986 bis 1990 Raus Büroleiter. Clement wurde 1995 Wirtschaftsminister in NRW, und als er selbst Ministerpräsident wurde, rückte der zwischenzeitlich in Schleswig-Holstein aktive Steinbrück als Wirtschaftsminister nach. Den Niedergang der SPD in NRW konnten freilich weder der quirlige Clement noch der nüchterne Steinbrück verhindern. Von den 52,1 Prozent, die Rau im Mai 1985 geholt hatte, blieben 2000 unter Clement noch 42,8 Prozent und jetzt nur noch rund 37 Prozent.

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