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Einsatz. Am Sonntagmorgen um fünf Uhr kam die Polizei und brachte die Hungerstreikenden in Krankenhäuser. Das Zeltlager wurde aufgelöst. Foto: Peter Kneffel/dpa

© dpa

Politik: Ende im Morgengrauen

Das Camp der hungerstreikenden Asylbewerber in München ist geräumt – die Rolle ihres Sprechers wirft Fragen auf.

Um 4.29 Uhr verschickten die hungerstreikenden Asylbewerber vom Münchner Rindermarkt noch eine E-Mail und luden zu einer Pressekonferenz für den Sonntagmittag ein. 31 Minuten später war es vorbei mit dem Protestcamp. 350 Polizisten rückten um fünf Uhr in Mannschaftswagen an, begleitet von Krankentransportern, und räumten das Zeltlager unmittelbar hinter dem Marienplatz. Es ging um Leben und Tod bei den Flüchtlingen aus verschiedenen Ländern, etwa aus dem Iran, Pakistan und Äthiopien. Seit einer Woche hatten sie nichts mehr gegessen, seit Dienstag waren sie im sogenannten trockenen Hungerstreik, sie tranken auch nichts mehr. „Ziel war ausschließlich die Rettung von Menschenleben, die Fälle von Zusammenbrüchen häuften sich dramatisch“, sagt Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) am Mittag.

Am Rindermarkt sind nur noch die zwei mobilen blauen WC-Plastikkabinen übrig, ansonsten deutet nichts mehr auf diese dramatische Woche hin, in der Flüchtlinge mit ihrem Leben gespielt und mit ihrem Tod gedroht hatten, um in Deutschland bleiben zu dürfen. Und in der sich die frontal angegangenen verantwortlichen Politiker bestürzt zeigten, aufgewühlt, ratlos. Ein paar erschöpfte deutsche Unterstützer sitzen noch auf den Stufen des plätschernden Brunnens, wo die Skulptur mit den drei Rindern und ihrem Hirten steht. „Das war brutal“, sagt ein junger Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte. „Die waren komplett vermummt, haben die Zeltwände aufgerissen und die Menschen rausgezogen.“

Die vorläufige Bilanz laut Polizei: 44 Flüchtlinge waren in dem Camp, darunter drei Kinder, die während der Zeit normal ernährt wurden. Die Erwachsenen wurden alle in Krankenhäuser eingeliefert. Nach der Behandlung werden sie in städtischen Notunterkünften unterkommen, so die Sozialreferentin Brigitte Meier. Der „Versammlungsleiter“ des Streiks, der 24-jährige Iraner Ashkan Khorasani, ist noch in Haft. 23 weitere Unterstützer wurden kurzzeitig festgenommen, weil sie Polizisten beleidigt und versucht hatten, den Abtransport der Hungernden zu verhindern. Diese seien meist völlig geschwächt und regungslos in den Zelten gelegen, berichtete Polizei-Vizepräsident Robert Kopp. Ein Mann habe erst mehrere Minuten lang vor Ort behandelt werden müssen, um überhaupt transportfähig zu sein. „Wir schauen nicht zu, wie Menschen auf der Straße sterben“, so Kopp. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) meinte: „Wir haben erfolgreich Leben geschützt.“ Wie schon zu Beginn des Hungerstreiks sagte er: „Wir lassen uns nicht erpressen.“ Über die Anerkennung von Asylbewerbern könne nicht „auf dem Pflaster des Rindermarkts entschieden werden“.

Dabei hatte es am Samstagnachmittag für wenige Stunden so ausgesehen, als könnten sich die Politik und der Sprecher der Streikenden doch auf eine Lösung verständigen. Nach einem Krisentreffen in der Staatskanzlei mit Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wurden zwei Vermittler zu dem Zelt geschickt, die hohe moralische Autorität besitzen: der ehemalige Münchner Oberbürgermeister und SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel, 87 Jahre ist er mittlerweile alt, sowie Alois Glück (CSU), Ex-Landtagspräsident und Vorsitzender des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.

Doch die beiden kamen nicht, wie fälschlich vermeldet worden war, mit dem Angebot der Duldung aller Hungerstreikenden als Härtefälle gemäß Paragraf 23 des Aufenthaltsgesetzes. Vielmehr war es die Aufgabe von Vogel und Glück, auszuloten, ob über irgendetwas anderes verhandelt werden kann außer der Maximalforderung des Sprechers, dass alle Flüchtlinge politisches Asyl erhalten. Bei der Runde im nahen Münchner Stadtmuseum, an der auch Dolmetscher und zwei Rechtsanwälte teilnahmen, kam nichts heraus. Er sei „erschüttert“, sagte Hans-Jochen Vogel danach.

Da war die schnellstmögliche Räumung dann fast zwingend. 35 Flüchtlinge waren allein in der Nacht zuvor kollabiert ins Krankenhaus gebracht und mit Infusionen wieder aufgepäppelt worden, sie sind danach gleich wieder ins Camp zurück. In einem Fall musste eine Frau wiederbelebt werden. Doch lässt sich vor allem die Verweigerung von Flüssigkeit nicht lange durchhalten, auch wenn die Betroffenen immer wieder notversorgt werden, sagt ein Münchner Amtsarzt. „Von Mal zu Mal werden die Leute deutlich schwächer.“ Nach Angaben von Wilfried Blume-Beyerle, Leiter des Kreisverwaltungsreferats und damit für die öffentliche Ordnung zuständig, wurde den Amtsärzten der Zutritt und das Gespräch mit den Hungernden teils von Khorasani verweigert, was dann auch der eigentliche Grund der Räumung war.

Christian Ude, der Ministerpräsident Horst Seehofer bei der Landtagswahl im Herbst herausfordert, bedankte sich ausdrücklich für die „hervorragende Zusammenarbeit mit der Staatsregierung und mit der Polizei“. Er sowie Innenminister Herrmann sind vor allem über den „Sprecher“ erzürnt. Ashkan Khorasani hat selbst politisches Asyl erhalten und lebt in Berlin. Er war bei der Besetzung der iranischen Botschaft in Berlin im vergangenen November mit dabei. Laut Herrmann stammt er aus dem kommunistischen Widerstand des Irans. Sein Verhalten erinnerte an Aktionen von geschulten Kaderorganisationen. Die Flüchtlinge sollten nichts sagen, allein er wollte für sie sprechen. Auch die deutschen Unterstützer verwiesen immer wieder an ihn und machten keine eigenen Aussagen. Wahrscheinlich ist, dass er den Hungernden die kompromisslose Linie aufgedrängt hat. Ude sagt: „Er hat das Leben anderer Menschen eingesetzt, um politische Ziele durchzusetzen.“

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