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Greenpeace

© AFP

Energie: Atomausstieg: Strahlende Zukunft

Italien und Schweden planen den Ausstieg aus dem Atomausstieg, und selbst in Kalifornien gibt es Pläne für neue Reaktoren.

Mit seiner Atomkraftoffensive steht US-Präsident Barack Obama keineswegs allein da. Selbst Länder, die sich bereits von der Atomenergie verabschiedet hatten, planen derzeit den Ausstieg aus dem Ausstieg.

ITALIEN

Die italienische Regierung hat ein Dekret verabschiedet, das die Rahmenbedingungen für den Bau von vier neuen Atomkraftwerken festschreibt. Italien war nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 aus der Kernenergie ausgestiegen.  Mit dem Dekret setzt die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Rahmenbedingungen für die Standorte, das Bewilligungsverfahren, den Betrieb und die Sicherheit von neuen Atomanlagen sowie für die Entsorgung der radioaktiven Abfälle. Außerdem wird die gesetzliche Grundlage geschaffen für eine nationale Agentur für Kernenergie. Der Wiedereinstieg in die Atomtechnologie war 2008 Teil des Wahlprogramms der Mitte-rechts-Koalition von Berlusconi.

Industrieminister Claudio Scajola versprach nach der Regierungssitzung „höchste Transparenz und Sicherheit“: Die Bevölkerung werde in das Bewilligungsverfahren einbezogen, die neuen Reaktoren respektierten die höchsten Sicherheitsstandards. Geplant ist der Bau von vier Reaktoren vom Typ des Europäischen Druckwasserreaktors. Beim Wiedereinstieg in die Atomenergie kann Italien mit französischer Hilfe rechnen: Vor einem Jahr hatten Berlusconi und der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy ein entsprechendes Rahmenabkommen unterzeichnet. Der Baubeginn für den ersten Reaktor ist im Jahr 2013 geplant; die Inbetriebnahme im Jahr 2020.

Die italienische Bevölkerung, die nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in einem Referendum mit über 90 Prozent der Stimmen den Ausstieg aus der Atomenergie beschlossen hatte, steht dem Atomstrom mehrheitlich nach wie vor ablehnend gegenüber. Die Regierung ist denn auch davor zurückgeschreckt, bereits jetzt die möglichen Standorte zu benennen: Ende März stehen wichtige Kommunal- und Regionalwahlen an. Doch die drei süditalienischen Regionen Apulien, Kampanien und Basilicata haben den Bau von Nuklearanlagen auf ihrem Territorium kurzerhand gesetzlich verboten. Die Zentralregierung legte gegen diese Gesetze beim Verfassungsgericht Beschwerde ein – der erste, vermutlich langwierige Rechtsstreit ist also bereits in Gang gesetzt worden, noch ehe überhaupt ein Standort genannt wurde.

Die Frage steht im Raum, ob in Italien überhaupt je wieder ein Atomkraftwerk gebaut werden kann. Skeptiker weisen darauf hin, dass in dem Land auch weniger umstrittene und dringendere Projekte wegen des Widerstands der Bevölkerung seit Jahren blockiert sind – etwa der Bau von Müllverbrennungsanlagen in Kampanien. Weiter wird daran erinnert, dass auch der vor Tschernobyl in Italien produzierte Atommüll nach wie vor in Provisorien zwischengelagert wird – und dies über zwanzig Jahre nach dem Ausstieg. Bisher ist jeder Standort für ein Endlager von gut organisierten und oft rabiaten lokalen Protestbewegungen erfolgreich verhindert worden.

SCHWEDEN

Auch die schwedische Regierung will neue Atomreaktoren im Lande bauen und die Fertigstellung des bereits beschlossenen Endlagers vorantreiben. Dabei galt Schweden deutschen Atomkraftgegnern lange als Vorbild, weil es viel früher als andere Länder per Referendum den Atomausstieg beschlossen hatte. Heute allerdings wäre das Land ein Paradies für deutsche Atomindustrie-Lobbyisten. Die rechtsliberale Vierparteienkoalition unter Ministerpräsident Frederik Reinfeldt präsentierte nur Monate vor den im Herbst anstehenden Parlamentswahlen das bisher nur vorsichtig angekündigte Atomgesetz.

Das Verbot für neue Kernkraftanlagen werde mit Wirkung zum 1. August, also noch vor der Wahl, durch eine parlamentarische Mehrheit abgeschafft, erklärte Umweltminister Andreas Carlgren. Lange galt die Atomfrage als ungewiss, vor allem weil die an der Regierung beteiligte Zentrumspartei, der auch Carlgren angehört, Vorbehalte hatte. Auch die erheblichen Kosten des geplanten Neubaus von Reaktoren mit größeren Kapazitäten als die in den drei bestehenden Atomkraftanlagen des Landes seien nun weitgehend geklärt, so Carlgren.

Die Zentrumspartei setzte nach dem Einknicken in der grundsätzlichen Frage eine Finanzierung ohne staatliche Hilfe durch. „Es wird in keiner Weise möglich sein, Kernkraftwerke in Schweden zu betreiben und dann die Rechnung an die Steuerzahler zu schicken“, betonte Carlgren. Gleiches gelte auch für Schadensaufkommen bei Unglücken. Der Schadenersatzanspruch soll ab 2011 stark ausgeweitet und in drei Teile gegliedert werden. Reaktorbesitzer müssen beim Staat ein Sicherheitspfand für Kosten von mindestens zwölf Milliarden Kronen (1,2 Milliarden Euro) hinterlassen, das im Fall von Unglücken eingesetzt werden soll. Für Kosten von zwölf bis 15 Milliarden Kronen soll der Staat dennoch herhalten. Für alles, was darüber hinausgeht, soll der Reaktoreigentümer unbegrenzt haften. Diese Regelung ist in Schweden völlig neu. Erst im November musste der langjährige Chef des staatlichen Energiekonzerns Vattenfall Lars Josefsson gehen. Obwohl er im Auftrag unterschiedlicher Regierungen enorm erfolgreich, aber mit wenig Rücksicht auf Umweltpolitik, die Auslandsexpansion Vattenfalls vorantrieb, stolperte er letztlich über eine Enthüllung des Wirtschaftsministeriums. Ohne die Genehmigung der Regierung einzuholen, war er eine Haftungsverpflichtung auf dem Deutschlandmarkt eingegangen, die bei einem Großunglück das finanzielle Aus des gesamten Konzerns bedeutet hätte.

Schwedens Regierung trieb auch den Bau eines eigenen Endlagers voran. Standort soll Östhammar sein, eine 23 000-Einwohner-Gemeinde etwa 130 Kilometer nördlich von Stockholm. Dort war bereits ein Testendlager mehrere Jahre lang in Betrieb. Ungewöhnlich für deutsche Verhältnisse: Zwei Gemeinden, in deren Nähe es bereits Atomkraftwerke gibt, rissen sich förmlich um die Standortauswahl – wegen der Arbeitsplätze. Proteste gegen den Wiedereinstieg muss die Regierung in Stockholm nicht fürchten. Die Atomkraft ist für die Bürger kein wichtiges Wahlkampfthema. Die sozialdemokratische Opposition weiß das, nach anfänglichen, eher reflexhaften Protesten bleibt sie in ihrer Kritik zurückhaltend. Wirklich abschaffen wollte die Arbeiterpartei in ihren langen Regierungsjahren die Kernkraft selbst nie, werfen ihr Atomgegner vor.

USA

Kalifornien erscheint auf den ersten Blick ein schlechter Kandidat für neue Atomkraftwerke zu sein. Seit 1976 gibt es dort ein Moratorium für neue Anlagen, der Golden State ist zudem ein Vorreiter für alternative Energien. Umso größer war das Erstaunen im Januar, als der französische Atomkonzern Areva und die Fresno Nuclear Energy Group eine Absichtserklärung unterzeichneten: Sie wollen gemeinsam neue Meiler in Kaliforniens Central Valley bauen. Nie und nimmer, lauteten damals die Kommentare. Sei doch die Inbetriebnahme neuer Kraftwerke nicht zuletzt daran geknüpft, dass für den radioaktiven Abfall der 104 Atomkraftwerke im ganzen Land erst noch ein Endlager gefunden werden muss.

Und dieses Ziel rückte vor einem Jahr erneut in weite Ferne, als Präsident Barack Obama das Yucca-Mountain-Projekt in Nevada einstweilig stoppte. Dort sollten das erste unterirdische Endlager in den USA entstehen für rund 77 000 Tonnen radioaktiven Abfalls, davon 63 000 Tonnen abgebrannte Brennelemente aus kommerziellen Kernkraftwerken. Obama hält den Standort für ungeeignet und will eine neue Strategie für die Endlagerung erarbeiten. Die Zeit drängt, denn den Kraftwerken geht der Platz für oberirdische Zwischenlager aus, und die Abklingbecken für abgebrannte Brennstäbe werden in einigen Jahren gefüllt sein.

Areva, das zu 91 Prozent dem französischen Staat gehört, bewies trotz alledem einen guten Riecher. US-Präsident Barack Obama sagte kürzlich staatliche Bürgschaften in Höhe von 8,3 Milliarden Dollar für den Bau zweier Atomkraftwerke im Bundesstaat Georgia zu. Ein klares Signal für Atomkraft in einem Land, das vor mehr als 30 Jahren den letzten neuen Reaktor in Betrieb genommen hatte. Einer der Gründe für den Ausstieg war 1979 der Unfall im Kernkraftwerk Three Mile Island im Bundesstaat Pennsylvania. Der überraschenden Ankündigung, mit der Obama vor allem den Republikanern die Hand reicht, ging weder eine politische Debatte voraus noch gab es großen Protest. Die Mehrheit der Bevölkerung nimmt anders als in Europa Atomkraft und Ökologie nicht zwangsläufig als Gegensätze wahr. Es gilt: Grün ist, was Treibhausgase reduziert. Und das gilt auch in Kalifornien, wo es ehrgeizige Pläne gibt, große Kraftwerke aus erneuerbaren Energien zu entwickeln. Gouverneur Arnold Schwarzenegger stellte fast drei Milliarden Dollar für den Solarstrombereich bereit. Bis zum Jahr 2016 sollen damit zusätzliche 3000 Megawatt Strom generiert werden. Doch während der Sonnenstaat bislang etwa zwölf Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energiequellen gewinnt, werden 20 Prozent weiterhin von zwei Atommeilern produziert.

Und dieser Atomstrom spiele nicht nur eine wichtige Rolle, sagen die Lobbyisten, sie warnen, dass der bevölkerungsreichste Bundesstaat ohne Kernkraft seinen ehrgeizigen Kampf gegen die Treibhausgase verlieren könnte. Gouverneur Schwarzenegger hatte vor vier Jahren ein Gesetz unterzeichnet, das vorsieht, die Treibhausgasemissionen in Kalifornien bis zum Jahr 2020 auf das Niveau von 1990 zu senken.

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