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Demonstranten fordern am Donnerstag vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin eine Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Die Länder-Minister für Energie und der Bundesenergieminister Gabriel treffen sich, um über die Ökostrom-Reform (EEG) zu sprechen.

© dpa

Energiereform: Sigmar Gabriel - vom Demonstranten zum Pappkameraden

Vizekanzler und Energieminister Sigmar Gabriel wirbt um Zustimmung für seine EEG-Reform - erntet jedoch reichlich Gegenwind.

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Berlin - Wie sich die Zeiten doch ändern! Keine zwölf Monate ist es her, dass Sigmar Gabriel mit den Polit-Aktivisten von „Campact“ lautstark vor Angela Merkels (CDU) Kanzleramt gegen die NSA-Spionage demonstriert hat. An diesem Donnerstag, Gabriel ist inzwischen Merkels Vize und vor allem ist er Energieminister, drängeln und kreischen die „Campact“-Leute nun vor seiner Tür. Überlebensgroß tragen sie ihn wie einen Bösewicht auf und ab und schimpfen, er sei schuld am Ausbremsen der erneuerbaren Energien.

Auch Michael Fuchs ist das mit den neuen Zeiten schon aufgefallen. Fuchs ist seit langem Wirtschaftspolitiker der CDU und so etwas wie das industriepolitische Gewissen seiner Fraktion. Donnerstagmorgen steht Fuchs im Bundestag am Rednerpult und ruft dem SPD-Mann Gabriel auf der Regierungsbank zu, er hätte „nie gedacht, dass ich mal hier stehe und Sie verteidige“.

Nun könnte man die Veränderung dieses Tages allein mit der Regierungsbildung erklären: Vergangenen Sommer war der SPD-Chef Gabriel noch Opposition, jetzt regiert er. Aber das wäre ungenau. Denn CDU-Mann Fuchs hat den Minister nicht nur aus purer Höflichkeit gelobt. Gabriel hat dem Industriepolitiker Fuchs wirklich aus der Seele gesprochen. „Grundlage unseres Wohlstandes“, stellte der neue Wirtschaftsminister in einer sehr grundsätzlichen Rede im Plenum klar, sei die industrielle Produktion. Weshalb er als Minister auch deren Standortbedingungen sehr scharf im Auge haben wolle. Und zwar keinesfalls mit drohender Gebärde, wie man dem Sozialdemokraten zutrauen könnte. Gabriel zielt ganz woanders hin: Er will die Gräben zwischen Produzenten und Arbeitnehmern, zwischen Ökonomie und Ökologie zuschütten. „Soziale Marktwirtschaft“ sei seine Überzeugung, sagt Gabriel und wirbt bei allen Sozialpartnern um gegenseitiges Verständnis: Wer die Unternehmen mit einem Mindestlohn „belastet“, der müsse an anderer Stelle „entlasten“. Sonst verdient niemand Geld. Sagt Gabriel und huldigt den Produzenten: Sie seien „kein Anhängsel einer Dienstleistungsgesellschaft“. Und sein Ministerium zugleich nicht die bloße Durchleitstelle für ökonomische Interessen. Nach Michael Glos (CSU) und vor allem Philipp Rösler (FDP) präsentiert sich Sigmar Gabriel als Chef, der diesem traditionsreichen Ministerium Ludwig Erhards offenbar wieder zu Bedeutung und Anerkennung verhelfen will.

Erster Lackmustest dafür ist zweifellos die Neuordnung der Förderung für erneuerbare Energien. Rund 23 Milliarden Euro kostet die Subvention von Wind-, Solarstrom und Strom aus Biogas die Stromverbraucher – mit steigender Tendenz. Gleichzeitig droht der Brüsseler EU-Wettbewerbskommissar damit, das System der Ausnahmen von der EEG-Umlage für stromintensive Betriebe zu kippen, was zumindest die Metallindustrie sofort außer Landes treiben könnte. Die Reform muss schnell über die Bühne gehen, sonst verlieren die Unternehmen diese Ausnahmeregelung 2015 ganz. „Bis zur Sommerpause“ müssten Bundestag und -rat zugestimmt haben, sagt Gabriel und warnt: „Die Grenzen der Belastung sind erreicht.“ Und er sagt auch, dass Unternehmen und Verbraucher die Energiewende nicht länger unterstützen würden, wenn sie merkten, dass nur sie dafür zahlen müssen, andere aber mit dem Fördergeld paradiesische Renditen risikofrei einstrichen. Es ist Gabriels stärkstes Argument, ein industriepolitisches, ein sozialpolitisches und zugleich ein ökologisches: Wer am Kompromiss nicht mitwirkt, wird zum Befürworter der Atomkraft.

Erst vor einer guten Woche hatte Gabriel die Eckpunkte seiner EEG-Novelle vorgelegt. Seither jedoch bedrängen ihn die Klagen und Warnungen und Drohungen der Interessenvertreter aus allen gesellschaftlichen Gruppen täglich mehr. Jeder will seine Interessen schützen. Und was tut der Vizekanzler? Er nimmt für sich in Anspruch, der Interessenvertreter des „Gemeinwohls“ zu sein. Ein hoher Anspruch und noch ein paar Wochen, um ihn einzulösen.

Die bayerische Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) hatte am Mittwochmorgen die Prioritäten ihres Landes erläutert: an erster Stelle Versorgungssicherheit, und zwar auch durch die Bereitstellung und Förderung von Reservekraftwerken, wenn der Strom aus Sonne und Wind nicht ausreicht. Ihre Regierung sei sich mit den grün-roten Kollegen in Baden- Württemberg einig, dass der Ausbau der Übertragungsnetze, die vor allem Windstrom vom Norden in den Süden transportieren sollen, nicht ausreichen werde. Aigner zufolge braucht man neben den Erneuerbaren ein zweites System, das vor allem im Winter zuverlässig Strom liefert. Zur Veranschaulichung nannte sie einen dunklen und windstillen Tag, an dem kürzlich die Erneuerbaren nur 0,28 Prozent des Stroms lieferten. Um für solche Tage Reservekraftwerke vorzuhalten, werde im Übrigen auch der Verbraucher gebraucht: Aigner geht von Kosten von 0,1 Cent je Kilowattstunde aus.

Der zweite Punkt, auf den die Bayern Wert legen, ist die Fortsetzung der Förderung für Biomasse; die Kraftwerke sollten aber „überwiegend auf Reststoffe“ umgestellt werden, um die „Vermaisung“ der Landschaft zu beenden. Schließlich möchte Aigner den Eigenverbrauch der Stromproduzenten nicht so stark belasten wie Gabriel. Nötig sei aber die Beteiligung der Stromproduzenten an den Kosten des Netzausbaus. Die starken Kürzungen bei der Förderung der Erneuerbaren und den geplanten Zwang zur direkten Vermarktung des Grünstroms begrüßte Aigner ausdrücklich, mit dem Hinweis auf Überförderung: In windstarken Gebieten Oberfrankens gebe es Windräder, die 200 000 Euro Gewinn einfahren – in einem Jahr.

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