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Vor einem Jahr zu Pfingsten gab es einen Solarstrom-Weltrekord in Deutschland. Damals waren mehr als 20 000 Megawatt Solarstrom im System. In diesem Jahr haben nur die Solarstromanlagen im Osten viel Strom produziert, im Westen und Süden war es eher bewölkt. Bis mittags lag die Solarstromerzeugung an diesem Pfingstsonntag bei etwas mehr als 16 600 Megawatt.

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Energiewende: Pfingsten als Härtetest für das Stromsystem

Vor einem Jahr gab es einen Solarstrom-Weltrekord. Vor zwei Jahren warnte die Bundesnetzagentur vor Stromausfällen. Diesmal ist der Feiertag ziemlich unspektakulär verlaufen - aber wohl nur, weil im Westen schlechtes Wetter herrschte. Denn das alte und das neue Stromsystem passen einfach nicht zusammen.

Seit 2011 gilt Pfingsten als der Härtetest für das deutsche Stromsystem. Vor den Feiertagen 2011, kurz nachdem acht Atomkraftwerke vom Netz gegangen waren, sagte die Bundesnetzagentur zu Pfingsten bereits Stromengpässe voraus. Die gab es dann doch nicht. Dafür gab es ein Jahr später einen absoluten Solarstrom-Weltrekord. Zu Pfingsten 2012 waren zeitweilig mehr als 20 000 Megawatt Solarstrom im Netz, das entspricht in etwa 20 Atomkraftwerken. Vor einem Jahr schien im ganzen Land die Sonne. An diesem Pfingstsonntag ist kein Weltrekord zu erwarten, obwohl die installierte Solarleistung nach Angaben der Bundesnetzagentur Ende März eine Kapazität von 33 165 Megawatt (Peak) erreicht hatte. Das bezieht sich auf die theoretisch mögliche Höchstleistung und entspricht der Leistung von mehr als 33 Atomkraftwerken.

Doch das Wetter in Deutschland ist an diesem Pfingstsonntag zweigeteilt: im Westen bewölkt und regnerisch, im Osten sonnig. Nach Angaben der Strombörse in Leipzig ist für die Mittagszeit lediglich eine Solarstromleistung von knapp 18 000 Megawatt erwartet worden, um elf Uhr (neuere Daten lagen um 15 Uhr noch nicht vor) hatte die tatsächliche Produktion etwas mehr als 16 500 Megawatt Solarstromleistung erreicht. Wie sich die Stromerzeugung insgesamt zusammensetzt, hat der Energiewende-Think-Tank Agora in einer aktuellen Grafik zusammengestellt. Gut zu sehen ist da, dass die konventionelle Stromerzeugung relativ konstant bleibt. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat dazu ebenfalls einige Grafiken erstellt, die das Verhältnis zwischen konventionell erzeugten und erneuerbaren Stromquellen nachvollziehbar illustrieren. Dabei ist vor allem eines deutlich zu erkennen: Das alte zentrale Stromversorgungssystem und das neue entstehende System eher dezentraler Erzeuger aus erneuerbaren Energiequellen passen nicht zusammen.

Wie schon das ganze Jahr über war Deutschland auch an Pfingsten wieder ein Netzexporteur von Strom. Das heißt: Deutschland hat mehr Strom in seine Nachbarländer exportiert als importiert. Nachts, am frühen Morgen und auch schon am Abend ist Deutschland häufig Stromimporteur, tagsüber aber meist Exporteur. Wenn man das Stromsystem so sieht, wie die meisten traditionellen Akteure, also die großen Energiekonzerne oder auch den Verband der Strom- und Wasserwirtschaft (BDEW), dann liegt dieser Export an den erneuerbaren Energien, speziell dem Solarstrom. Wenn man aber wie der Chef von Agora Energiewende, Rainer Baake, die aktuelle Rechtslage als Maßstab nimmt, dann wird vor allem Kohlestrom exportiert.

Warum kommen BDEW und Agora zu so unterschiedlichen Einschätzungen der gleichen Zahlen? Baake argumentiert, dass die erneuerbaren Energien in Deutschland die "Grundlast per Gesetz" sind. Denn Strom aus Wind, Sonne, Bioenergie oder Wasserkraft hat einen Vorrang bei der Einspeisung ins Stromnetz. Wird viel erneuerbarer Strom erzeugt, müssten konventionelle Kraftwerke eigentlich abgeregelt werden. Doch das ist nur bei flexiblen Gaskraftwerken technisch und wirtschaftlich möglich. Die stehen derzeit aber nahezu immer still und lohnen sich wirtschaftlich überhaupt nicht mehr. Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke produzieren dagegen ziemlich konstant Tag und Nacht mehr oder weniger die gleiche Menge Strom. Viele werden derzeit zwar nicht in Volllast betrieben, sie produzieren also nicht so viel Strom, wie es technisch möglich wäre. Doch eine Abregelung der großen inflexiblen fossilen und nuklearen Kraftwerke wäre technisch und wirtschaftlich teurer, als damit Überschussstrom für den Export zu erzeugen. Kohlekraftwerke sind derzeit deshalb wieder wirtschaftlich, weil die Kohlepreise dramatisch gesunken sind. Dies lässt sich vor allem darauf zurückführen, dass in den USA so viel Schiefergas mit dem umstrittenen Frackingverfahren gefördert wird. Dazu kommt, dass der europäische Handel mit Kohlendioxid-Zertifikaten nahezu zum Erliegen gekommen ist. Es kostet derzeit nahezu nichts mehr, klimaschädliche Treibhausgase durch die Verbrennung von Kohle zu erzeugen. Deshalb ist der Kohlendioxid-Ausstoß Deutschlands 2012 auch zum ersten Mal seit Jahren wieder gestiegen. Die Betreiber der Atomkraftwerke klagen ihrerseits, dass sich ihr dort erzeugter Strom inzwischen auch kaum noch rechne. Allerdings haben sie bei der Jahrestagung Kerntechnik ihre Kalkulation dafür nicht offen gelegt.

Warum die Energiewende im Bundestagswahlkampf keine große Rolle spielt

Zwei Reihen Höchstspannungsleitungen führen Strom vom Atomkraftwerk Brokdorf weg. Das Stromnetz wird nach Einschätzung des Berliner Infrastrukturexperten Christian von Hirschhausen derzeit so ausgebaut, dass auch in Zukunft noch viel Kohlestrom durchs Netz fließen kann.
Zwei Reihen Höchstspannungsleitungen führen Strom vom Atomkraftwerk Brokdorf weg. Das Stromnetz wird nach Einschätzung des Berliner Infrastrukturexperten Christian von Hirschhausen derzeit so ausgebaut, dass auch in Zukunft noch viel Kohlestrom durchs Netz fließen kann.

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Tatsächlich ist der Strompreis 2013 noch einmal deutlich im Vergleich zu 2012 gefallen. Nach Angaben des BDEW lag er im Januar im Schnitt bei 43,14 Euro für die Megawattstunde Strom (eine Megawattstunde sind 1000 Kilowattstunden), der Höchstpreis in Zeiten hoher Nachfrage und geringen Angebots lag bei 54,43 Euro pro Megawattstunde. Im Februar waren es im Schnitt 42,17 Euro, der Höchstpreis lag bei 52,36 Euro. Im März sank der Preis noch weiter auf 41,10 Euro und im April auf 40,10 Euro. Die Höchstpreise fielen auf 51,30 beziehungsweise 50,31 Euro im April. Im Schnitt liegt der Preis etwa 20 Prozent unter dem des Vorjahres. Am Pfingstsonntag, einem Tag mit geringem Verbrauch, ist der Preis nach EEX-Angaben im Tagesschnitt auf 10,80 Euro gefallen, bis Mittags lag der Höchstpreis bei 8,76 Euro für die Megawattstunde Strom.

Der Berliner Infrastrukturexperte Professor Christian von Hirschhausen von der Technischen Universität befürchtet, dass der aktuell diskutierte Netzentwicklungsplan für den Ausbau des Hochspannungsnetzes in Deutschland unter völlig falschen Voraussetzungen geführt wird. In einem Interview mit dem Wochenbericht des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sagt er, "diese Leitungen sind so ausgelegt, dass sie bei einem reichhaltigen Angebot von erneuerbaren Energien dennoch eine vollständige Einspeisung des Kohlestroms ermöglichen." Dem Tagesspiegel sagte Hirschhausen, dass insbesondere die beiden geplanten neuen Hochleistungsstromleitungen in der neuen Gleichstromtechnik (HGÜ) aus Nordrhein-Westfalen und Ostdeutschland "reine Kohleexportstrecken" seien. Hirschhausen fordert deshalb einen an die Ziele der Energiewende angepassten Netzumbau. Denn bisher verlaufen die großen Höchstspannungsleitungen noch immer von den großen Kohlekraftwerken aus in den Rest der Republik.

Im aktuellen Bundestagswahlkampf gehen die Parteien in ihren Programmen in Sachen Energiewende nicht besonders ins Detail. Die Diskussion ist komplex. Es gibt viele Detailthemen, die jedoch unmittelbar miteinander zusammenhängen und deshalb nur schwer diskutierbar sind. Außerdem gibt es mehr als eine Definition, was unter der Energiewende eigentlich verstanden wird. Einige sehen darin lediglich die Abschaltung der Atomkraftwerke und den Ersatz der dann wegfallenden Stromerzeugungsleistung durch konventionelle Energieformen. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) betont jedoch immer wieder, dass es um einen Ersatz des Atomstroms durch erneuerbare Energien geht. Doch wie die beiden gegensätzlichen Systeme, mit denen Deutschland und seine Nachbarn im Übergang leben müssen, zu einem neuen System werden können, dafür fehlt bisher allen Parteien und auch dem Umweltminister ein Plan.

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