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Energiewende und Co.: Auf den schwarz-gelben Großbaustellen geht nichts voran

Koalition und Kabinett stehen vor einem Berg von Aufgaben. Viel Zeit bleibt zur Lösung nicht. Was ist noch zu bewältigen?

Von Robert Birnbaum

Der alte Minister ist noch nicht entlassen, der neue noch nicht im Amt, da ist schon klar: Peter Altmaier wird als Nachfolger keine Schonfrist bekommen, um sich gründlich in die Hinterlassenschaft von Norbert Röttgen einzuarbeiten. Schon nächste Woche kommen die Ministerpräsidenten zum Energie-Sondergipfel bei der Kanzlerin, in einem Koalitionsgipfel wird die Frage ebenfalls eine zentrale Rolle spielen. Ohnehin muss sich die Koalition nach dem Wahlkampf-Stillstand jetzt beeilen. Um Sachpolitik zu machen, bleibt nur ein Zeitfenster bis Jahresende. Ende Januar 2013 wählt schon wieder Niedersachsen – und danach fängt der Vorwahlkampf für Bayern und den Bund an. Eine Bestandsaufnahme.

ENERGIEWENDE

Als Merkel Röttgen feuerte, dankte sie ihm für die „Schaffung der Grundlagen“ für die Energiewende, fügte aber gleich an: „Wir haben noch ein Stück Arbeit vor uns.“ Das ist gelinde untertrieben. Nicht weil Röttgen seinen Job schlecht gemacht hätte, sondern weil sich hinter dem harmlosen Wort von der „Wende“ eine gigantische Aufgabe verbirgt. Es geht darum, die Versorgungsstruktur einer der größten Industrienationen in wenigen Jahren und bei laufendem Betrieb radikal zu verändern. Das verlangt Beschlüsse und ein Prozessmanagement, gegen das ein neuer Großflughafen ein Legospiel ist.

ENERGIEMINISTERIUM

Eigentlich wäre ein Projekt dieser Größenordnung ein Job für ein neues, eigenes Ministerium, aber Merkel hat am Montag abgewunken: Das wäre theoretisch sicher sinnvoll, aber nicht mehr in dieser Wahlperiode. Die Erfahrung lehrt, dass schon die Neuverteilung einzelner Zuständigkeiten zwischen Ministerien Monate dauert – und weitere Monate, bis die Zusammenarbeit zwischen Neu und Alt reibungslos klappt. Aber so viel Zeit ist nicht mehr, weder in der Sache noch politisch. Denn alle wissen: Man kann mit einer halbwegs glatt laufenden Energiewende keine Wahl gewinnen – mit einer, der das Scheitern droht, aber sehr leicht verlieren. Dafür genügt unter Umständen schon ein einziger winterlicher Stromausfall.

NETZAUSBAU

Einer der schwierigsten Punkte verknüpft sich mit dem Stichwort „Netze“. Der Bau der neuen Hochenergie-Trassen, die Windstrom vom stürmischen Norden in den industriereichen Süden befördern sollen, hakt an vielen Stellen. Vom lokalen Protest gegen Strommasten bis zu Problemen der Industrie, ausreichend Anschlussstellen aufzubauen, reichen die Schwierigkeiten.

Die Solarindustrie sollte aufgebaut werden - steckt jetzt aber tief in der Krise.

SOLARENERGIE

Die üppige Solarförderung hat den Ausbau über alle Erwartungen hinaus beschleunigt. Kein Wunder – mancher Bauer verdient auf dem Kuhstall längst mehr als mit dem Vieh darunter. Die Sonnenstrom-Schwemme macht die – für manche Industriezweige lebenswichtige – Steuerung der alten Stromnetze zum Balanceakt. Die Kappung der Fördersummen hat aber der Bundesrat vorläufig gestoppt: Viele Länder fürchten um ihre in Boomjahren aufgebaute Solarindustrie. Die Koalition braucht rasch eine Kompromisslinie für das Vermittlungsverfahren.

GASKRAFTWERKE

Offen ist eine weitere Frage, die wohl ebenfalls nur ganz oben politisch zu entscheiden ist. Wenn die deutschen Atommeiler vom Netz gehen, die Umstellung auf Ökoenergie aber noch auf dem Weg ist, müssen flexible Kraftwerke als Reserve und Puffer für Spitzenzeiten her. Aber die Energieversorger weigern sich, die dafür am besten geeigneten Gaskraftwerke neu zu bauen. Sie rechnen vor, dass die Investition nicht lohne, weil die Turbinen nicht ausgelastet wären – und fordern Subventionen von der Politik. Doch ob und wer da zahlt, ist bisher völlig unklar.

Neben diesen großen Punkten gibt es zahlreiche weitere, die mit der Energiefrage verknüpft sind. Noch ist offen, ob ein Konsens für eine neue Atomendlagersuche möglich ist – Röttgen war kurz davor, das Abschlusstreffen mit den Ländern sollte nächste Woche stattfinden. Ungelöst ist das Problem der Kohlendioxidreduzierung bei den konventionellen Kohlekraftwerken. Die Idee, das Klimagas unter der Erde zu speichern, scheitert am Veto der Länder, die solchen Gaslagern zustimmen müssen. Die Pläne zum Energiesparen durch Gebäudesanierung liegen im Vermittlungsausschuss vorläufig auf Eis. Und auch das Projekt Elektromobilität hat bis zu einem Durchbruch noch einen weiten Weg vor sich.

Lang ist auch die Liste der übrigen Projekte, die in den Wahlkampfwochen liegen geblieben sind; vor allem aber sind sie allesamt politisch äußerst heikel.

BETREUUNGSGELD

Die CSU hat alles dafür getan, dass dieses Thema heikel bleibt. Immerhin droht CSU-Chef Horst Seehofer nicht mehr mit Boykott der nächsten Koalitionsrunde, sondern fordert im Gegenteil inzwischen deren rasche Einberufung. Die Kanzlerin ist auch entschlossen, das leidige Thema zügig abzuräumen; noch vor der Sommerpause soll der Bundestag die Sonderleistung für daheim erziehende Eltern absegnen. Merkel muss aber noch den Widerstand in der eigenen Fraktion überwinden – was im Zweifel noch einmal Geld kostet für den Kita-Ausbau oder für bessere Rentenleistungen für Mütter.

Auf der nächsten Seite: Vorratsdatenspeicherung, Mindestlohn, Steuern und Fiskalpakt.

VORRATSDATENSPEICHERUNG

Hier stellt sich die FDP quer. Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger hat bisher jeden Kompromiss verweigert, der über ihr eigenes „Quick Freeze“-Angebot hinausgeht. Das wiederum lehnen sowohl CDU und CSU als auch die EU-Kommission ab, fordert doch das geltende Europarecht eine Vorratsdatenspeicherung von Handy- und Computerverbindungen auch ohne konkreten Tatverdacht. Die EU-Kommission droht nun mit Klage und Strafzahlung. Leutheusser hat auch das nicht umgestimmt. Sie ist überzeugt: Mit ihrem Widerstand steht und fällt die Selbstbehauptung der FDP als Bürgerrechtspartei und vor Piratengefahr.

MINDESTLOHN

Dabei ist das Nein der Liberalen etwas weniger entschieden. Die CDU will eine Kommission der Tarifpartner einrichten, die sich auf Lohnuntergrenzen für alle Branchen einigen soll, in denen es keinen aktuellen Tarifvertrag gibt. Bei den Liberalen löst auch dieses Modell Abwehrreflexe aus – das sei das Gleiche wie ein staatlicher Mindestlohn. Aber unter den Jüngeren ist das Nein nicht so laut wie bei alten Kämpen. Sie sehen eine einfache Chance, eine Wandlung der FDP vom kalt-marktradikalen zum mitfühlenderen Liberalismus augenfällig werden zu lassen.

STEUERN

Auch hier hat der Bundesrat die schwarz-gelben Pläne vorerst ausgebremst und in die Vermittlung geschickt. Aus der Steuervereinfachung wird so erst mal nichts, auch der geplante Teilverzicht auf Staatseinnahmen durch die „kalte Progression“ liegt auf Eis. Bleibt das so, dann zieht die Koalition auf einem einstigen Paradefeld „bürgerlicher“ Politik mit leeren Händen in die Wahl – den unseligen Mehrwertsteuerrabatt für Hoteliers zeigt lieber keiner mehr vor.

FISKALPAKT

Die Koalitionäre müssen sich etwas überlegen, um die Zustimmung der Opposition zum europäischen Fiskalpakt zu sichern. Der völkerrechtliche Vertrag über die europaweite Schuldenbremse braucht in Bundestag und Bundesrat eine Zwei- Drittel-Mehrheit. Dass die SPD am Ende ablehnt, ist kaum denkbar. Doch ganz ohne Zugeständnisse etwa in der Frage einer Finanzmarktsteuer wird es nicht abgehen – wieder ein Vorhaben, bei dem die FDP bremst, aber auch die hessische CDU, die sich um die Börse Frankfurt sorgt.

Wie dieser Berg von Konflikten gelöst werden kann, ist schwer vorherzusagen. Doch manchmal, sagen manche Koalitionäre, hat so ein Berg auch seine Vorteile. Gerade weil Einzelkompromisse schwierig sind, könnte man dahinkommen, dass jeder hier etwas kriegt und dort gibt.

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