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Der Netzbetreiber 50Hertz gehört zu den Vorreitern bei der Umsetzung der Energiewende: Ein Blick in die Leitwarte in Neuenhagen.

© Bernd Settnik/dpa

Energiewende: Zeit, die Bremsen zu lockern

Der Energiewende-Motor stottert. Das liege am verzögerten Kohleausstieg und am gebremsten Ausbau erneuerbarer Energien, analysiert Christoph Heinrich in seinem Gastkommentar.

Die Politik in Deutschland fährt die Energiewende zunehmend im Stop-and-go-Modus. Mit dem Ergebnis: Es geht zwar voran, aber nicht so flüssig und schnell, wie es gehen könnte und aus Klimaschutzperspektive müsste. Genau dieses Bild zeichnen auch die aktuellen Zahlen der Beratungsgesellschaft McKinsey. Alle sechs Monate wirft sie einen Blick auf den Stand der Energiewende: Wie steht es um Klimaschutz, Versorgungssicherheit, Kosten? Die aktuelle Übersicht macht deutlich: Deutschland zögert derzeit eine Entwicklung heraus, die sich schon längst und unaufhaltsam vollzieht, und das nicht nur hierzulande, sondern weltweit.

Das scheint vor allem daran zu liegen, dass viele Ziele nicht mit den nötigen Maßnahmen unterfüttert sind. Beim CO2-Ausstoß etwa. Bis 2020 will Deutschland seine Emissionen eigentlich um 40 Prozent gegenüber 1990 reduzieren. Aber wie – dazu fehlen die Instrumente. Und so zeigt auch der McKinsey-Indikator:  Derzeit stößt Deutschland noch viel zu viel CO2 aus und wird das 2020-Ziel sehr wahrscheinlich um bis zu sieben Prozentpunkte verfehlen.

Ein Grund dafür liegt in den vielen vergebenen Chancen, den Kohleausstieg auf den Weg zu bringen – etwa mit dem Verzicht auf einen Nationalen Klimaschutzbeitrag auf Braunkohleemissionen. Auch im Klimaschutzplan 2050 wurde der Kohleausstieg ausgeklammert. Dabei ist er unabdingbar: zum einen, um die Energiewende im eigenen Land voranzubringen; zum anderen, um den Verpflichtungen aus dem Paris-Abkommen gerecht zu werden.

Christoph Heinrich ist Vorstand Naturschutz der Umweltstiftung WWF Deutschland.
Christoph Heinrich ist Vorstand Naturschutz der Umweltstiftung WWF Deutschland.

© Janna Frohnhaus/WWF

Die Scheu ist nicht  angebracht. Der WWF hat erst kürzlich in der Studie „Zukunft Stromsystem“ ein Szenario entwickelt, das einen wirtschaftlich gangbaren Kohleausstieg skizziert, der einen fairen Beitrag zu den internationalen Klimaschutzzielen leistet und gleichzeitig ermöglicht, ihn sozialverträglich abzufedern. Dafür muss man aber jetzt mit dem Ausstieg beginnen. Je länger ihn die Politik hinauszögert, desto schneller wird der Wandel vonstattengehen müssen und mit umso größeren Strukturbrüchen einhergehen. Das kann für keine Seite von Vorteil sein.

Ausbau erneuerbarer Energien stagniert

Nun drückt sich die Politik aber nicht nur vor dem Kohleausstieg, sondern bremst gleichzeitig den Ausbau der Erneuerbaren aus. Die ehrgeizigen Ziele aus dem Erneuerbaren-Energien-Gesetz von 2014 sind schwächeren aus der EEG-Reform 2017 gewichen.  Diese erfüllt Deutschland, übererfüllt es sogar, misst McKinsey. Aber mit dem für das Erreichen der Klimaziele notwendigen Kohleausstieg müssen ehrgeizigere Ausbauziele einhergehen. Wir müssen also mindestens zurück zu den Zielen aus dem EEG 2014.

Das ist auch aus wirtschaftlicher Sicht essentiell. Denn die Erneuerbaren auszubremsen bedeutet nicht nur, die Energiewende unnötig aufzuhalten. Auf diese Weise riskiert die Politik auch Jobs: Laut McKinsey sind seit dem ersten Halbjahr 2016 rund 25 000 Arbeitsplätze in den Branchen der Erneuerbaren verloren gegangen – was annähernd der Zahl aller Beschäftigten in der Kohleverstromung entspricht. Dabei sind die Erneuerbaren ein Markt der Zukunft, den es zu fördern lohnt. Trotz des jüngsten Rückgangs ist er aktuell schon 330.000 Arbeitsplätze stark. Diesen Job-Motor gilt es, laufen zu lassen.

Energiewende im Industrieland

Daneben ist die Zahl der Beschäftigten in den stromintensiven Industrien im vergangenen Jahrzehnt weiter gewachsen. Dies macht deutlich: Deutschland kann und muss Energiewende- und Industrieland gleichzeitig sein. Nur so erhält es sich seine Innovationskraft und Vorreiterrolle, die es brauchen wird in einer Welt, die in den vergangenen Jahren einen beispiellosen Aufwuchs der erneuerbaren Energien und gleichzeitig einen deutlichen Rückgang von fossilen Kraftwerkskapazitäten gesehen hat.  

Das Netz wächst sehr langsam

Beim Netzausbau scheint ebenfalls die Handbremse angezogen. „Zielerreichung unrealistisch“, fasst McKinsey zusammen. Auch nach Einschätzung des WWF geht die Fertigstellung des sogenannten Startnetzes, das der Bundestag bereits 2009 beschlossen hat, zu langsam voran. Damit bis Ende 2022 die geplanten Leitungen auch unter Wahrung von Naturschutzbelangen und Bürgerbeteiligung fertiggestellt werden können, braucht es eine aktivere Abstimmung mit den Regionen.

Mit dem Ausbau an Erneuerbaren und der Netze sind zwangsläufig Kosten verbunden. Alarmismus ist allerdings fehl am Platz. Denn die von McKinsey prognostizierten Kostensteigerungen von rund zwei Prozent pro Jahr bewegen sich in der Größenordnung der normalen Inflationsrate. Sie lag im Februar 2017 bei 2,2 Prozent. Von explodierenden Kosten kann daher nicht die Rede sein. Wichtig ist in jedem Fall, dass Privathaushalte nicht unverhältnismäßig von Preissteigerungen getroffen werden: Dafür muss die Industrie einen fairen Anteil an den Kosten für den Umbau des Stromsystems tragen.

Unterm Strich steht: Die Energiewende verläuft momentan zu unentschlossen. Erst wird der ambitionierte Ausbau der Erneuerbaren beschlossen, dann gedrosselt. Der Zubau an Netzen als nötig erkannt, dann aber nicht vorangetrieben. Die internationalen Klimaschutzbemühungen bejaht, der Abschied von den fossilen Energieträgern dann aber verschleppt. Dieses Stop-and-go bringt weder Planungs- noch Investitionssicherheit, sondern verursacht Kopfschmerzen bei allen Beteiligten. Zeit, die Bremsen zu lockern.

Christoph Heinrich ist Vorstand Naturschutz beim WWF Deutschland

Christoph Heinrich

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