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Politik: Entgegenkommen auf halbem Weg

Lammert: Volle Rechte im Bundestag auch für geschrumpfte Opposition / Redezeit noch unklar.

Von Robert Birnbaum

Berlin - Im Streit über die Rechte der Opposition im Bundestag zu Zeiten der übergroßen Koalition schlägt Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) den Fraktionen eine Selbstverpflichtung des Parlaments vor. Einen entsprechenden Entwurf hat Lammert am Donnerstag den parlamentarischen Geschäftsführern zugeleitet und zugleich den Ältestenrat in seiner ersten Sitzung darüber informiert. Das Modell ist ziemlich genau dort angesiedelt, wo der Präsident sich häufiger wiederfindet – zwischen den Stühlen.

Der von den Fraktionen erbetene Vorschlag belässt es einerseits nicht bloß dabei, dass die übergroße Koalition guten Willen bekundet: „Der Bundestag verpflichtet sich ...“, heißt es unzweideutig in dem Antragsentwurf. Andererseits geht Lammert aber nicht auf Forderungen aus der Opposition ein, die Quoren etwa für die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses generell abzusenken, so dass sie auf die Stärke der Opposition passt.

Lammert schlägt stattdessen vor, diese Quoren einfach praktisch außer Kraft zu setzen. In einem Fall – der „abstrakten Normenkontrollklage“ – ist das nur schwer möglich, weil die 25-Prozent- Quote im Grundgesetz steht. Aber selbst ein von den Grünen beauftragter Verfassungsrechtler kam zu dem Schluss, dass die Möglichkeit, ein Gesetz abstrakt auf Verfassungsmäßigkeit prüfen zu lassen, kein essenzielles Oppositionsrecht sei.

Bei allen anderen Fragen – Einsetzung eines Untersuchungsausschusses oder einer Enquete-Kommission, Einberufung des Parlaments, Subsidiaritätsklage vor dem Europäischen Gerichtshof oder Antrag auf öffentliche Anhörung über ein Gesetzesvorhaben – plädieren Lammerts Experten für eine Selbstverpflichtung. Das Parlament soll bindend zusagen, dass es einem „Verlangen der Mitglieder der Fraktionen, die nicht die Bundesregierung tragen“, zur formal nötigen Mehrheit verhilft. Und damit nicht in einem Untersuchungsausschuss gleich wieder die erdrückende Majorität von CDU, CSU und SPD jeden konkreten Antrag zur Aufklärung abblocken kann, soll die Opposition dort ein Viertel der Mitglieder stellen.

Faktisch arbeitet das Parlament übrigens schon entlang dieser Linien; so ist es politisch inzwischen unstreitig, dass die NSA-Abhöraffäre parlamentarisch untersucht wird. Den aktuell umstrittensten Punkt zwischen den Fraktionen spart Lammerts Entwurf jedoch aus. Zur Verteilung von Redezeiten steht darin kein Wort. Wer in welcher Debatte wie lange zu Wort kommen darf, sollen die Fraktionen wie bisher informell unter sich regeln.

Union, SPD und Linke sind dabei weitgehend handelseinig; aber den Grünen gefällt auch das jüngste Modell nicht. Sie fordern ein Modell, wie es in manchen Landtagen gilt: Jede Fraktion erhält eine Grund-Redezeit von zehn Minuten, nur der Rest würde nach den Mehrheiten verteilt. Wie das ausgeht, ist offen. Lammert sieht keinen formellen Regelungsbedarf. Gut möglich, dass der Präsident an die eigenen Möglichkeiten denkt. Der CDU- Mann hat öfter aus eigener Vollmacht Abweichlern aus der Regierungskoalition das Wort erteilt. Eine formale Redezeit- Regelung könnte dieser Freiheit die Grundlage entziehen. Robert Birnbaum

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