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Entsendegesetz: Mit Gottes Segen gegen Mindestlöhne

Heimbetreiber und Wohlfahrtsverbände forden zusammen mit der Gewerkschaft Verdi eine gesetzliche Lohnuntergrenze für Pflegekräfte. Doch die Branchenriesen Caritas und Diakonie weigern sich.

Die kirchlichen Arbeitgeber haben sich am Donnerstag gegen einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen. Dadurch würden weder Armut noch Schwarzarbeit wirksam bekämpft, sagte Markus Rückert, der Vorsitzende des Verbands diakonischer Dienstgeber in Deutschland. Auch die Arbeitsgemeinschaft caritativer Unternehmen sprach sich gegen staatlich verordnete Löhne aus: Die kirchliche Selbstbestimmung sei ein Verfassungsgut. Fast 600.000 Menschen arbeiten in der Pflege - in einigen Bundesländern sind davon knapp die Hälfte für die kirchlichen Einrichtungen tätig. Der Bereich Pflegedienst und Altenpflege ist eine der Branchen, die ihre Aufnahme ins Arbeitnehmerentsendegesetz beantragt haben. Union und SPD wollen am 28. April bei einem Koalitionsausschuss über die Mindestlöhne beraten.

Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi protestierte gegen das „Nein“ der Kirchen-Verbände. Sie forderte mehr als sieben Euro die Stunde als Lohnuntergrenze. SPD-Fraktionsvize Elke Ferner rief die katholischen und evangelischen Verbände auf, sich dem Mindestlohn nicht zu verweigern. Die Kirchen könnten nicht einerseits predigen, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben sollten, und andererseits den eigenen Beschäftigten angemessene Löhne verweigern.

Die Senioren- und Pflegeexpertin der Berliner Grünen, Jasenka Villbrandt, sagte dem Tagesspiegel: „Wer gegen Armut ist, darf sich im eigenen Haus Mindestlöhnen nicht verweigern. Die Kirchen werden sonst unglaubwürdig.“ Die Glaubwürdigkeit der Kirchen stehe auf dem Spiel, sagen Arbeitnehmervertreter: Christliche Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen seien besonderen sozialen Leitlinien verpflichtet. Die Personalpolitik, sagen Gewerkschafter, stehe im Kontrast zur Kirchenkritik am Neoliberalismus. Die Argumente von Caritas und Diakonie seien „vorgeschoben und scheinheilig“, erklärte Ilja Seifert, Pflegeexperte der Linksfraktion im Bundestag. Durch die Ablehnung von Caritas und Diakonie bleibe allen Pflegekräften ein Mindestlohn verwehrt, auch Mitarbeitern von privaten Anbietern, die zum Teil nur bis zu sechs Euro in der Stunde verdienten, erklärte die Linke. Dem Tagesspiegel sagte die Caritas: "Wir beraten noch."

Der Stundenlohn bei Caritas und Diakonie liegt nach eigenen Angaben bei mehr als 7,50 Euro. „Die Argumentation der kirchlichen Träger gegen den Mindestlohn ist nicht nachvollziehbar. Wenn sie heute schon mehr als 7,50 Euro zahlen, würde sich durch einen Mindestlohn doch für sie nichts ändern“, sagte Franz Wagner vom Berufsverband für Pflegeberufe DBfK dem Tagesspiegel. Die CDU-Bundestagsabgeordneten Gerald Weiß und Willi Zylajew hatten in einem Brief an die Kirchenoberen, der dem Tagesspiegel vorliegt, kürzlich eine „tarifgebundene Bezahlung in der Pflege“ empfohlen. Vor wenigen Wochen hatten der DBfK und Verdi außerdem mehr als 100 000 Unterschriften gegen Stellenabbau und für höhere Löhne in Pflegeeinrichtungen gesammelt. Die Petition soll demnächst an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) überreicht werden.

Anders als in der Pflege werden in anderen Branchen demnächst Mindestlöhne erwartet. Durch das Entsendegesetz können Entgelte zu gesetzlich verbindlichen Mindestlöhnen erklärt werden, wenn mehr als die Hälfte der Beschäftigten in der jeweiligen Branche nach Tarifen bezahlt wird: Wenn Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände also stark genug sind, Tariflöhne für einen Großteil der Mitarbeiter durchzusetzen, kann der Staat den Rest der Branche zwingen, diese aus Gründen des Gemeinwohls zu übernehmen. Die Tarifvertragsparteien – also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände - der folgenden Sektoren stellten gemeinsame Anträge: Zeitarbeitsbranche mit rund 630.000 Beschäftigten, Weiterbildungsbranche mit 23.000 Kollegen, die Großwäschereien mit 30.000, die Forstwirtschaft mit 10.000, der Bereich der Bergbauspezialarbeiten mit 2.500 Angehörigen, das Wach- und Sicherheitsgewerbe mit 170.000 Mitarbeitern und die Entsorgungswirtschaft mit 138.000 Angestellten.

So kämen zu den rund 1,9 Millionen vorrangig im Baugewerbe Beschäftigten, die bereits einen Mindestlohn beziehen, knapp 1,6 Millionen Menschen hinzu. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) bewertete dies als „gigantischen politischen Erfolg.“ Erste Gesetzesentwürfe werden erst im Sommer dieses Jahres erwartet.

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