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 Gerd Müller (59) hat seine Laufbahn als Lehrer begonnen und wechselte später über die internationale Abteilung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung ins bayerische Wirtschaftsministerium. Als Europaabgeordneter und seit 1994 Bundestagsabgeordneter beschäftigte sich Müller, der auf einem Bauernhof aufwuchs, mit der Landwirtschaft. Von 2005 bis 2013 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesagrarministerium. Seit Dezember 2013 ist Gerd Müller Entwicklungsminister und irritiert Freund und Feind mit seinem hohen moralischen Anspruch.

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Entwicklungsminister Gerd Müller: „Wenn wir beim Klimaschutz nicht sofort ernst machen...“

Entwicklungsminister Gerd Müller im Interview über Klimafortschritte beim G-7-Gipfel, die Macht der Konsumenten und den fairen Preis für Schokolade.

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Herr Müller, haben Ihnen Organisationen wie Greenpeace oder der Naturschutzbund, die die Politik der Bundesregierung sonst oft scharf kritisieren, schon einen Beitritt angeboten?

Sie werden lachen: Die Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) in Bayern hat tatsächlich einen Gerd-Müller-Fanklub gegründet. Das ist eigentlich unsere Konkurrenz. Ich habe mich darüber jedenfalls sehr gefreut.

Wir fragen wegen des G-7- Gipfels von Elmau. Wann ist die Bundesregierung von Nichtregierungsorganisationen jemals so gelobt worden wie jetzt?

In Elmau ist etwas Wichtiges passiert, nämlich ein Paradigmenwechsel im Denken der Industriestaaten hin zu mehr Nachhaltigkeit zum Schutz unseres Planeten. Dazu wurden Festlegungen und Selbstverpflichtungen beschlossen, die selbst mich überrascht haben. Ich hätte vor zwei Wochen nicht darauf gewettet, dass wir so weit kommen.

Skeptiker sagen: Die Absichtserklärungen sind nicht durch Zahlen unterfüttert. Und schon gar nicht durch konkrete Taten.

Richtig ist: Wir müssen die Vereinbarungen erst noch umsetzen. Das wird noch ziemlich schwierig.

Welche Entwicklung auf dem Gipfel hat Sie am meisten überrascht?

Dass sich bei den Klimazielen nun auch Amerikaner und Japaner von Bundeskanzlerin Angela Merkel haben überzeugen lassen. Das bedeutet einen Riesenfortschritt. Die Staats- und Regierungschefs haben erkannt: Wenn wir beim Klimaschutz nicht sofort Ernst machen, gibt es für kommende Generationen womöglich keine Zukunft mehr. Uns allen muss klar sein, dass wir nicht die letzte Party auf diesem Planeten feiern.

"Unser Haus hat an Bedeutung gewonnen"

Wurde Ihr Ministerium durch den Gipfel in Elmau gestärkt? Sind Ihnen die Kolleginnen und Kollegen im Bundeskabinett am Mittwoch schon mit mehr Respekt begegnet als zuvor?

Elmau war ein Entwicklungsgipfel. Es wurden so viele Themen aufgerufen, die die Kernkompetenz unseres Hauses betreffen – vom Bekenntnis zu den Menschenrechten als Grundlage der Weltwirtschaft über die Bekämpfung von Tropenkrankheiten bis zum fairen Welthandel – das ist ein echter Quantensprung. Unser Haus hat dadurch eine völlig neue Bedeutung gewonnen, darüber freue ich mich. Entwicklungspolitik ist nämlich Zukunftspolitik zur Lösung der globalen Herausforderungen.

Was sind aus Ihrer Sicht denn die größten Herausforderungen?

Der Klimaschutz und die Welternährung sind die Überlebensfragen der Menschheit. Die G7 haben sich zu den Vorreitern der Industriegesellschaft erklärt und bieten Lösungen für diese Menschheitsprobleme an. Es besteht die Gefahr, dass wir den Planeten gerade an den Rand der Apokalypse führen – durch unser Wirtschaften und unseren Konsumstil. Wenn die Schwellen- und Entwicklungsländer diesen Lebensstil übernehmen, den wir ihnen vormachen, dann bräuchten wir drei Planeten. Gleichzeitig treten jedes Jahr 80 Millionen Menschen neu auf unsere Erde, brauchen Wasser und Nahrung – das ist vor allem eine Herausforderung für Afrika.

"Afrika muss ein grüner Kontinent werden"

Welchen Beitrag kann Afrika zum Klimaschutz leisten?

Auch für die Klimabeschlüsse des G-7-Gipfels spielt Afrika eine wichtige Rolle. Der Anteil der Schwellen- und Entwicklungsländer am Ausstoß von Treibhausgasen ist heute schon höher als der Anteil der Industrieländer – und er steigt rasant an. Das Zwei-Grad-Ziel erreichen wir nur, wenn Afrika bei der Energiegewinnung nicht der „Schwarze Kontinent“ bleibt, der auf Kohle setzt, sondern sich zum „Grünen Kontinent“ entwickelt, der erneuerbare Energien nutzt. Wir werden jedenfalls zum Aufbau „grüner“ Energiestrukturen nach Kräften beitragen. Afrika bietet für die Nutzung von Sonnen-, Wasser-, Geothermie- und Windenergien ideale Voraussetzungen.

Muss Afrika denn immer noch von den G7 gerettet werden?

Nein. Wir sind nicht der Vormund Afrikas, sondern wollen eine neue Partnerschaft mit den Ländern des Kontinents entwickeln. Dabei geht es um Rohstoffsicherung, fairen Handel, Warenaustausch und Entwicklung von sozialen und ökologischen Standards für Lieferketten vom Rohstoff bis zum Endprodukt. Wir werden keinen Erfolg haben, wenn wir den Ländern unsere Vorstellungen aufdrängen wollen. Die Entwicklung muss von den Afrikanern selbst vorangetrieben werden. Und das gelingt nur, wenn wir die Bildung stärken.

Sie haben keinen Masterplan für Afrika?

Es gibt nicht die eine Lösung für Afrika, das 54 Länder umfasst und einhundert Mal so groß ist wie Deutschland. Es ist ein junger Kontinent, acht von zehn der Länder mit dem höchsten Bevölkerungswachstum liegen in Afrika. Viele vergessen, dass Afrika ein boomender Markt für Informations- und Kommunikationstechnologie ist. Es gibt in Afrika heute mehr Smartphones als Toiletten. Die wirtschaftlichen Chancen müssen wir verstärken. Jede afrikanische Regierung hat es in der Hand, die Potenziale des eigenen Landes zum Nutzen seiner Bevölkerung zu entwickeln. Wir investieren, wir beraten, aber die Länder müssen die Voraussetzungen für ihre Zukunft schon selbst schaffen. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist eindeutig die Bekämpfung der Korruption und die gute Regierungsführung, gemeinhin „Good Governance“ genannt.

Kaufentscheidungen von Konsumenten haben Folgen

Welche Rolle spielen die Konsumentinnen und Konsumenten in den Industrieländern beim Versuch, die Welt gerechter zu machen und die Umwelt zu schonen?

Eine ganz entscheidende. Wir können nicht unseren Wohlstand aufbauen auf der Ausbeutung von Mensch und Natur in den Entwicklungsländern. Wir beziehen 80 Prozent unserer Ressourcen aus den Entwicklungsländern. Nicht nur im Textilbereich nehmen wir bislang menschenunwürdige Beschäftigung und sklavenähnliche Arbeitsbedingungen einfach so hin. Das wollen wir ändern. Bei jedem Einkauf ist der Konsument auch Teil von Entwicklungspolitik.

Was ist Ihr politisches Instrument dafür?

Der G-7-Beschluss über soziale und ökologische Standards beim Handel mit den Schwellen- und Entwicklungsländern ist ungeheuer wichtig. Wir sprechen hier von globalen Lieferketten. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass die G-7-Staaten so weit kommen. Ich habe in Deutschland für das Textilbündnis gekämpft, das soziale und ökologische Kriterien auf der gesamten Lieferkette zum Ziel hat – das heißt, den ganzen Weg vom Baumwollfeld bis hin zum Bügel im Laden abdeckt. Vor einem Jahr hieß es noch: Der Müller ist ein Idealist, das Textilbündnis wird nie umgesetzt werden. Unmittelbar vor dem Gipfel in Elmau haben wir nun den Durchbruch erlebt. Die Mitgliederzahl ist auf mehr als 100 gestiegen, viele große Firmen und Verbände, Handel und Industrie, mit einer großen Marktabdeckung sind inzwischen beigetreten und wollen gemeinsam an diesen Standards arbeiten, das ist eine großartige Entwicklung.

Sie sehen im Beschluss zu sozialen und ökologischen Standards in globalen Lieferketten von Elmau eine Weiterentwicklung Ihrer Idee des Textilbündnisses?

Richtig. Elmau war der Durchbruch. In allen G-7-Ländern muss es soziale und ökologische Kriterien geben, egal ob für Mobiltelefone, Jeans oder Lebensmittel. Wenn sich mehr als 700 Millionen Verbraucher in den G-7-Ländern danach richten, wird das weltweit enorme Auswirkungen haben.

Schokolade kann auch fair sein

Können Sie das an einem Beispiel erklären?

Nehmen Sie eine Tafel Schokolade, die gibt es hier im Laden ab 39 Cent. Wenn zwei Cent mehr in den Anbauländern ankommen würden, brächte allein der deutsche Schokoladen-Konsum 150 Millionen Euro Transfer pro Jahr nach Westafrika. Damit könnten Kakao-Pflücker die Ausbildung ihrer Kinder finanzieren. Wenn wir das Modell auf andere Produkte ausweiten und auf andere Länder, dann kann das Gerechtigkeit und Entwicklungschancen für Millionen von Menschen schaffen. Öffentliches Geld für die Entwicklungszusammenarbeit ist wichtig. Aber die wesentlich schnelleren und stabileren Erfolge beim Aufbau von nachhaltigen Strukturen erreichen wir über fairen Handel.

Wenn wir das alles zusammennehmen: Ist das wirklich schon ein Durchbruch – oder doch nur der erste Schritt einer langen Reise?

Den ersten Schritt haben die Staats- und Regierungschefs gemacht. Sie haben mit ihren Vereinbarungen für einen Aufbruch gesorgt. Ein Bekenntnis, die Welt unter den schwierigen globalen Bedingungen gerechter zu gestalten. Jetzt kommt der zweite Schritt, nämlich die Umsetzung der Ziele in nationale Politik – zuerst in den G-7-Ländern, aber später hoffentlich auch in den anderen fast 200 Staaten der Welt. Das wird uns die nächsten zehn Jahre beschäftigen. Jetzt stehen wir Minister im Maschinenraum und müssen die Sache zum Laufen bringen. Es wird noch viel Schweiß fließen, aber die Sache ist den Fleiß der Edlen wert.

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